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Die Geschichte der Juden in Weinheim

Geduldet, vertrieben, ermordet - Geschichte der Juden in Weinheim bis 1933

von Claudia Fischer

Frühe Anfänge

Bereits 1298 wird eine jüdische Gemeinde in Weinheim erwähnt. Vermutlich gab es schon viel früher jüdische Einwohner in Weinheim, was sich jedoch nicht belegen, sondern nur herleiten lässt.

Anscheinend kamen mit den Römern um etwa 155 n. Chr. Juden als römische Bürger zusammen mit Kaufleuten und Soldaten nach Deutschland.

Die den Römern folgende Zeit ist schlecht dokumentiert, so dass man erst ab der Karolingerepoche von einer zusammenhängenden Geschichte der Juden in Deutschland sprechen kann. Im Lorscher Codex wird 1065 ein Jude in der Region erwähnt (CL 123 c). Weinheim gehörte seit 773 teilweise zum Kloster Lorsch.

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Der schwere Kampf ums Überleben

1298 gab es eine jüdische Gemeinde mit Synagoge in Weinheim. Wir erfahren davon aus einem Eintrag im Nürnberger Memorbuch. Die niedergeschriebene Geschichte der jüdischen Mitbürger begann so, wie sie endete: mit einem Massenmord. Am 20. September 1298 fiel ein verarmter fränkischer Ritter oder Metzger namens Rintfleisch über die Gemeinde her. Er und seine Horden ermordeten unter dem Vorwand der Hostienschändung 79 Gemeindemitglieder.

Einige hatten dieses Massaker wohl überlebt und organisierten sich neu. Jedoch schon 50 Jahre später schlug das Schicksal wieder zu. Europaweit grassierte zwischen 1348 und 1352 eine schwere Pestepidemie und kostete Millionen Menschenleben. Auf der verzweifelten Suche nach der Ursache wurde man schnell fündig: der Jude, der die Brunnen vergiftet hatte. Die nun einsetzenden schweren Verfolgungen vernichteten über 200 Gemeinden in Deutschland, darunter auch die kleine Weinheimer Gemeinde im Jahr 1349.

In vielen Geschichtsbüchern wird Weinheim in der Zeit von 1400 bis 1650 als „judenfrei” bezeichnet. Das ist so jedoch nicht ganz richtig, da es immer wieder Dokumente über einzelne Familien gibt. Sie spielen jedoch in der Stadt und in der gesamten Kurpfalz keine Rolle. Die immer rascher aufeinander folgenden Vertreibungswellen, die immer schwelende Anklage des Ritualmordes und der Hostienschändung machten das Überleben fast unmöglich. Viele Juden wanderten in Richtung Osten und fanden in den westlichen und südlichen Teilen Russlands neue Siedlungszentren.

Neuanfang

Während des 30jährigen Krieges (1618-1648) werden keine Weinheimer Juden, nur vorüberziehende jüdische Händler erwähnt. Erst ab 1649 bewilligte Kurfürst Karl Ludwig für Weinheim eine jüdische Familie. Die merkantilistisch ausgerichtete Politik des Kurfürsten nach dem Krieg sollte dazu dienen, die starken Bevölkerungsverluste auszugleichen. Zum Wiederaufbau des Landes nach dem verheerenden Krieg wurde jeder gebraucht. Als Leister von Abgaben und Schutzgeld willkommen, waren sie auch zu dieser Zeit ganz und gar nicht beliebt: „aber es hätten sich noch nachgehendst [zum Genehmigten] deren 4, als Meyer, Abraham, Mardochai und Wolf eingeschleicht”.

Diese Familien von Meyer, Mardochai, Abraham und Wolf bildeten für eine geraume Zeit den Kern der Weinheimer Gemeinde. Ihre Namen und die ihrer Nachkommen sind bis Mitte des 18. Jahrhunderts zu verfolgen.

Die Größe der Gemeinde ist unbekannt, aber man weiß, dass in der gesamten Kurpfalz zwischen 1657 und 1659 53 jüdische Kinder geboren wurden. Einige davon sicher auch in Weinheim.
Das Kind des Juden Mayer starb am 10. Dezember 1666 an der Pest. Mayer bat den Stadtrat, ihm eine Begräbnisstätte zu überlassen. Der Rat bewilligte ihm diese am Wüstberg. Heute wird dieser Ort im Allgemeinen „Judenbuckel” genannt.

Fenster der Synagoge in der Hauptstraße 143

Ab 1680 ist die Gemeinde wieder so groß, etwa 15 Familien, dass sie eine Synagoge benötigte. Der Vorsteher, Mayer Oppenheim, und sein Sohn errichteten zwischen 1680 und 1690 dieses Haus in der Hauptstraße (heute Hauptstraße 143) mit eigenen Mitteln.

Dadurch, dass der Besitz jeder jüdischen Familie seit 1662 regelmäßig geschätzt werden musste, liegen seit 1721 die Erhebungsbögen im Archiv vor. Aus diesen Listen geht nicht nur die Steuerschuld hervor, sondern auch der Wohnort.
Daraus wiederum kann man für Weinheim verbindlich feststellen, dass es kein explizites Judenviertel gab, sondern die Familien entlang der Geschäftsstraße, der Hauptstraße, wohnten.

Die Zahl der Juden in Weinheim war im recht ruhigen 18. Jahrhundert relativ stabil, Zuzug und Wegzug hielten sich in etwa die Waage.

Abbildung: Blick um 1900 von der Stadtmühlgasse auf die Rückseite der Häuser in der Hauptstraße; links oben sind die Fenster der Synagoge in der Hauptstraße 143 zu sehen. Um 1900.

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Weinheim wird badisch: neue Namen und neue Berufe

Im Jahre 1803 wird Weinheim badisch. Dies bedeutete eine Wende für das Leben der jüdischen Mitbürger. Sie bekamen mehr Freiheiten, mehr Rechte.
Seit Beginn des 18. Jahrhunderts hatten Juden begonnen, deutsche Familiennamen anzunehmen. Bis dahin war es Sitte, nur einen Personennamen, also einen Vornamen, zu führen. Dieser hatte meistens einen biblischen Bezug. Üblich waren auch Tiernamen (z. B. Bär, Löwe, Hirsch, Wolf). Zur Unterscheidung wurde oft der Vatername (Sohn des…) beigefügt. Vererbbar war dieser Name nicht.

Im 6. Konstitutionsedikt vom 4. Juni 1808 wurde bestimmt, dass alle Juden bis zum 1. Juli 1809 deutsche Namen anzunehmen hatten. Die bisherigen Namen waren als Vornamen weiterzuführen. Die Wahl der deutschen Zunamen, der auch weitervererbt werden sollte, war frei. Die Erklärung über die Annahme des neuen deutschen Namens hatte zu Protokoll des Beamten des bürgerlichen Standes zu erfolgen.

Oft wurden Namen gewählt, die den Herkunftsort bezeichneten (z.B. Weinheimer, Oppenheimer) oder die Art des Broterwerbs. Im Stadtarchiv Weinheim findet sich ein Verzeichnis, in welchem die neuen Namen aufgeführt sind.

Im „Gesetz über die Verhältnisse der Juden” von 1809 wurde die jüdische Religionsgemeinschaft als Kirche konstitutionsmäßig geduldet. Staatsrechtlich waren die Juden als freie Staatsbürger zu behandeln. Ihre gemeinderechtliche Stellung änderte sich allerdings nicht, sie blieben Schutzbürger ohne Wählbarkeit zu Gemeindeämtern und ohne Recht auf Allmendnutzung.

Jahrhunderte lang war den Juden der Zugang zu den normalen Berufen, die zu den Zünften gehörten, versperrt gewesen. Sie hatten bis dahin als Makler, Nothändler, Verleiher, Trödler und Hausierer gearbeitet. Nun wurden sie ausdrücklich aufgefordert, einen bürgerlichen Beruf zu ergreifen. Die freie Berufswahl wurde ihnen per Edikt von 24. November 1809 zugesichert. In Weinheim kann man mit einer Liste aus dem Jahr 1825 feststellen, dass keiner der älteren Juden, die schon vor 1809 berufstätig waren, einen Beruf erlernt hatte.

In den 1830er Jahren kam es in dem badischen Landtag zu großen Debatten über die Gleichstellung der Juden, in der sich auch der Weinheimer Landtagsabgeordnete Albert Ludwig Grimm hervortat. Er stimmte als einer von zwei Abgeordneten für die völlige Gleichberechtigung der Juden. Es dauerte aber noch bis 1862, bis das „Gesetz über die bürgerliche Gleichstellung der Israeliten” erlassen wurde. Zunächst war trotz des Gesetzes die völlige Gleichstellung noch nicht erreicht, denn die Teilnahme am Gemeinde- und Allmendgut war bis 1872 einer Sonderregelung unterworfen.

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Die jüdische Gemeinde im badischen Weinheim

Ausschnitt aus der NamenslisteEine genaue Liste der jüdischen Weinheimer Bürger wurde 1815 erstmalig erstellt. Hier wurde jeweils der alte und der neue Name verzeichnet, dazu Namen der Ehefrauen und der Kinder. Es ist also erstmals möglich, ein Mitgliederverzeichnis zu erstellen, in dem auch Frauen und Kinder berücksichtigt werden. In Weinheim wohnten damals 12 Familien und fünf allein stehende Personen, insgesamt etwa 55 Personen.

Die größere Freiheit der Juden umfasste nicht nur die Berufswahl, sondern auch die Schulausbildung der Kinder. In den Unterlagen findet sich bis 1832 keinerlei Hinweis darauf, wo die jüdischen Kinder zur Schule gingen.

Abbildung: Namensliste der jüdischen Einwohner mit alten und neuen Namen sowie Berufsangaben, 1815.

Die jüdischen Kinder aus Lützelsachsen besuchten entweder die evangelische oder meistens die katholische Schule. Entsprechend hatte sich am 7. Mai 1832 ein Pfarrer aus Hohensachsen geäußert. Die Weinheimer Kinder scheinen ebenfalls die christlichen Schulen besucht zu haben.

1827 forderte der Synagogenrat einen israelitischen Lehrer für sieben schulpflichtige Kinder. Der Lehrer wurde eingestellt, musste aber von der Gemeinde untergebracht, beköstigt und bezahlt werden.

Abbildung: Namensliste der jüdischen Einwohner mit alten und neuen Namen sowie Berufsangaben, 1815

Badische Revolution 1848/49 und Albert Ludwig Grimm

Während der Badischen Revolution waren in einigen badischen Orten noch einmal antisemitische Tendenzen und Tätlichkeiten aufgeflammt. In Weinheim gab es in dieser Hinsicht keine nachweisbaren Unruhen. Ein Grund für das Fehlen dieser Übergriffe lag wohl in der Tatsache, dass Weinheim nicht ausschließlich agrarisch orientiert war. Die Stadt erlebte in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts einen wirtschaftlichen Aufschwung, den Bürgern ging es ökonomisch recht gut. Sie mussten also nicht fürchten, dass die Unterstützung, die den oft an der Armutsgrenze lebenden Juden gewährt würde, sie allzu sehr belasten würde.

Die Stimmung in Weinheim wurde wahrscheinlich auch von Albert Ludwig Grimm geprägt, der von 1806 bis 1854 hier lebte. Er war von 1825 bis 1837 Bürgermeister und bis 1838 auch Abgeordneter Weinheims im Badischen Landtag. Er war einer der zwei Abgeordneten, die 1831 für die volle Gleichberechtigung eintraten: „Der Jude ist badischer Staatsbürger, der Jude erfüllt alle Pflichten, die ihm als Staatsbürger obliegen.”

Rede des Abgeordneten Grimm am 3. Juni 1831 …

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Alteingesessene Familien

Es ist auffallend, dass die meisten Familien ihrer Stadt treu geblieben sind. Sie fühlten sich als Weinheimer und gingen hier ihrem Gewerbe nach.

Hervorgehoben seien hier die Familien Altstädter, Rosenfeld, Rothschild und Ullmann, die seit etwa 1717 in Weinheim lebten. Altstädters, Rosenfelds und Rothschilds waren nicht nur zahlenmäßig die größten Familien am Ort, sondern auch ökonomisch und politisch bedeutend.

Vereinsleben und Stiftungen

Verschiedene Vereine und Stiftungen dokumentieren das blühende Gemeindeleben.
Seit 1848 bestand die Maier-Traut-Stiftung zur Unterstützung armer Israeliten. Ab 1868 gab es den „Israelitischen Krankenunterstützungsverein”, der sich ab 1904 „Israelitischer Krankenunterstützungs- und Sterbekassenverein zu Weinheim” nannte. 1913 wurde der „Israelitische Frauenverein” eingegliedert.
1888 gründete man den Gesangverein „Liederkranz” und 1904 den Synagogenchorverein.

Ab 1918 sorgte der Lehrer Marx Maier für Glanzlichter und gründete den Weinheimer Kammermusikverein, der bedeutende Künstler zu Gast hatte.

Mehr zum jüdischen Vereinsleben in Weinheim …

Sigmund Hirsch

Wenn die Weinheimer jüdische Bevölkerung dem gesamtbadischen Trend welchem nicht unterlag, ist dies ein weiteres Zeichen dafür, dass Weinheim, auch aufgrund seiner wirtschaftlichen Stabilität, ein besseres soziales Umfeld besaß als das übrige Baden. Wichtig für die weitgehend gelungene Integration und Emanzipation der hiesigen Juden war die Existenz der Rosslederfabrik von Sigmund Hirsch. Sie bot etwa 350 bis 400 Arbeitsplätze und war so ein wesentlicher Faktor des Weinheimer Wirtschaftslebens. Hirsch war 1868 nach Weinheim gekommen und gründete im Gerberbachviertel seinen Betrieb. Durch eine Erweiterung im Jahr 1900 mit dem Werk „Kapellenäcker” wurde seine Firma zum zweitgrößten Unternehmen der Stadt.

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Synagoge in der Ehretstraße 5 um 1910 Bau der neuen Synagoge

Sigmund Hirsch war auch derjenige gewesen, der es durch finanzielle Förderung ermöglichte, die inzwischen mehr als baufällige alte Synagoge in der Hauptstraße zu schließen, und der den Neubau einer Synagoge vorantrieb. Die Reden, die zur Einweihung dieser neuen Synagoge am 2. August 1906 von den Synagogenräten Berthold Kaufmann und Dr. Moritz Pfälzer gehalten wurden sowie die Abschiedspredigt vom Bezirksrabbiner Dr. Pinkuss waren ein klares Bekenntnis zum Judentum und zu Weinheim.

Abbildung: Synagoge in der Ehretstraße 5, um 1910.

Weiterführende Texte:

Der erste Weltkrieg

Die Juden waren seit der Emanzipation in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Bürger des badischen Staats mit Rechten und Pflichten. Im ersten Weltkrieg (1914-1918) zogen Tausende von Juden für Deutschland in den Krieg. Auch fünf Weinheimer waren unter den Gefallenen.

Antisemitische Tendenzen und Ende der Israelitischen Gemeinde

Am Ende des 19. Jahrhunderts schien bewiesen, dass der Antisemitismus überwunden war.
Jedoch gab auch in Weinheim Anzeichen, dass das tolerante Miteinander nicht stabil war. Es gab zum Beispiel wenige Mischehen zwischen Christen und Juden. In Weinheim waren diese Verbindungen sogar außergewöhnlich selten und lagen unter dem Reichsdurchschnitt. Nur in Ausnahmefällen wohnten jüdische und christliche Familien gemeinsam in einem Haus.
Schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts sind in Weinheim antisemitische Spuren nachzuweisen. Die erste Spur findet sich 1865. Die Bürgerschule wurde von einigen christlichen Bürgern als „Judenschule” verunglimpft, da von 108 Schülern 20 Israeliten waren.

Am 20. Februar 1892 beschwerte sich der Synagogenrat über den Zeichenlehrer und Landschaftsmaler Ludwig Zorn. Dieser stempelte auf öffentlich ausgelegte Zeitungen mit judenfeindlichen Parolen.

Auszug aus dem Weinheimer Anzeiger vom 19.11.1919: Sitzung des Bürgerausschusses
Interpellation Dr. Pfälzer, Gegen die antisemitische Hetze …

1922 zeigte die Weinheimer DNVP ihr antisemitisches Gesicht. Nachdem wegen eines Sterbefalls innerhalb der SPD-Fraktion der jüdische Kaufmann Sally Neu in den Gemeinderat nachrückte, verweigerten zwei DNVP-Gemeinderäte die Weiterarbeit in dem Gremium. Außerdem beschuldigten sie Sally Neu, dass er sich nach dem Krieg verbotenerweise Heeresgut angeeignet hätte. Ein polizeiliches Verfahren wurde eingeleitet. Am Ende wurde Sally Neu rehabilitiert und seine Widersacher scharf kritisiert.
1924 wählten aber etwa ein Viertel der Weinheimer Parteien mit antisemitischem Programm.

Die zuvor herrschende Harmonie und Toleranz hatte sich als brüchig und wenig belastbar erwiesen. Vielleicht trug auch die Konkurrenz im wirtschaftlichen Bereich mit nicht-jüdischen Betrieben zur antisemitischen Einstellung bei. Diese Konkurrenz wurde seit Mitte der 20er Jahre von den stärker werdenden Nationalsozialisten propagandistisch ausgeschlachtet.

Am 1. April 1933, acht Wochen nach Hitlers Machtergreifung, wurden die ersten offiziellen antijüdischen Maßnahmen getroffen: ein eintägiger Boykott aller jüdischen Geschäfte.

Bereits eine Woche später konnten jüdische Beamte aus dem Dienst entfernt werden. Die Zulassung für Ärzte und Rechtsanwälte wurde neu geregelt. Schlag auf Schlag wurden nun neue Gesetze verabschiedet, die sich direkt oder indirekt gegen die Juden wendeten.

In diesem Jahr 1933 begann die erste große Auswanderungswelle. Die einst blühende jüdische Gemeinde löste sich langsam auf.

Am 22. Oktober 1940 war ihre Geschichte endgültig vorbei. Die letzten in Weinheim verbliebenen Juden wurde am Morgen dieses Tages versammelt und nach Gurs in Südfrankreich abtransportiert.

Eine jüdische Gemeinde in Weinheim gibt es seitdem nicht mehr.

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Die jüdischen Bürgerinnen und Bürger Weinheims 1933 - 1945

von Christina Modig M.A.

Zwölf Jahre Diktatur in Deutschland – in einem Land im Herzen Europas. In Deutschland war ein totalitäres System entstanden, das einen Weltkrieg provozierte und auslöste sowie im eigenen Land neben geistiger Unterdrückung und Terror Minderheiten verfolgte wie z.B. politisch Andersdenkende, Sinti und Roma und vor allem Deutsche jüdischen Glaubens.

Antisemitische Stimmung in Weinheim vor 1933

Seit der Jahrhundertwende waren die Jüdinnen und Juden gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger. Auch die jüdische Bevölkerung in Weinheim fühlte sich ihrer Heimatstadt und Deutschland eng verbunden. So meldeten sich zu Kriegsbeginn 1914 auch Weinheimer Juden zum Fronteinsatz. Fünf von ihnen, Karl David, Bernhard Lehmann, Max Lehmann, Moritz Rothschild und Sigmund Rothschild, fielen in diesem Krieg.

Die nach 1945 ergänzten Namen der jüdischen Gefallenen des 1. Weltkriegs am Kriegerdenkmal in der Bahnhofstraße.Trotzdem sollte man nicht glauben, dass sich erst mit dem 30. Januar 1933 eine antisemitische Haltung in der Bevölkerung entwickelte. Der frühere Weinheimer Fred Hirsch (geb. 1902) schildert in einem Schreiben an die Stadt Weinheim vom 28. November 1962:

„Sie werden vielleicht erstaunt sein, wenn ich Ihnen sage, dass waehrend meiner Gymnasiumszeit in Weinheim in meiner Klasse jahrelang eine voellige Spaltung zwischen den juedischen und christlichen Mitschuelern bestand. Dieser Zustand musste der Schulleitung bekannt sein, aber es wurde nichts dagegen unternommen. In jener Zeit war in Weinheim die „Kasinogesellschaft” der gesellschaftliche Mittelpunkt. Wer in Weinheim gesellschaftlich etwas galt, war Mitglied. Juden jedoch waren unerwuenscht.”

Abbildung: Die nach 1945 ergänzten Namen der jüdischen Gefallenen des 1. Weltkriegs am Kriegerdenkmal in der Bahnhofstraße.

Jüdisches Unternehmertum in Weinheim

Verglichen mit dem Reichsdurchschnitt (55,6%) war der Prozentsatz (82,5%) der jüdischen Erwerbstätigen in Weinheim, die selbstständig waren, überdurchschnittlich hoch. Auf den Durchschnitt aller Weinheimer Erwerbspersonen übertragen, waren die jüdischen Selbstständigen dreimal so stark vertreten.
Die Rosslederfabrik Sigmund Hirsch, seit 1868 vor Ort ansässig, war für Weinheim ein bedeutender Wirtschaftsfaktor, war sie doch der zweitgrößte Arbeitgeber (350 bis 400 Mitarbeiter) der Stadt. Der Familienbetrieb wurde vom technischen Leiter Max Hirsch und dem kaufmännischen Leiter Julius Hirsch geführt.
Zahlreiche jüdische Kaufleute wie z. B. Adolf Braun führten in Weinheim Einzelhandelsgeschäfte und auch Kaufhäuser und trugen somit dazu bei, dass Weinheim zu einer attraktiven Einkaufsstadt wurde.
Ein Spaziergang durch die Hauptstraße in Weinheim demonstriert eindrucksvoll den jüdischen Unternehmergeist.

Mehr zum jüdischen Wirtschaftsleben in Weinheim …

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Das jüdische Gemeindeleben

Mittelpunkt der jüdischen Glaubensgemeinschaft in Weinheim war die 1906 eingeweihte Synagoge. Da die Gemeinde mit ihren 60 steuerzahlenden Mitgliedern keinen großen finanziellen Spielraum besaß, unterstand sie dem Bezirksrabbiner in Heidelberg. Doch bestand eine enge Zusammenarbeit mit der großen jüdischen Gemeinde in Mannheim.
Die genaue Anzahl der jüdischen Bürgerinnen und Bürger in Weinheim ist für die Zeit nach 1900 schwer zu ermitteln, da diverse Quellen unterschiedliche Angaben veröffentlichten. Am 1. Januar 1933 wurden für Weinheim 168 jüdische Bürger gemeldet, doch dürfte die Zahl nach neuesten Erkenntnissen bei ca. 300 Personen gelegen haben.

Schikanen, Repressalien und Entrechtungen in Weinheim 1933-1935

Nur zwei Monate nachdem die Nationalsozialisten an der Macht waren, fand die erste organisierte öffentliche antijüdische Aktion (1. April 1933) statt, der Boykott-Tag („Kauft nicht bei Juden”).
Von der Weinheimer Partei und ihren Organisationen initiiert, fand am 11. März 1933 bereits vor den landesweiten Aktionen ein örtlicher Boykott statt. Schaufenster wurden mit großen gelben Kreisen gekennzeichnet, und den Käufern wurde von SA-Posten das Betreten der jüdischen Geschäfte erschwert.
Weitere Schikanen war ein Beschluss des Weinheimer Stadtrates von 1934, der jüdischen Geschäftsleuten untersagte, auf der „Weinheimer Woche” auszustellen.
Repressalien erstreckten sich nicht nur auf Geschäftsleute, sondern auch auf Freiberufler wie z. B. Ärzte und Rechtsanwälte. In Weinheim hatten vor der Praxis von Dr. Friedrich Reiss beziehungsweise der Kanzlei von Rechtsanwalt Dr. Moritz Pfälzer SA- und SS-Leute mit Plakaten „Die Juden sind unser Unglück” Stellung bezogen.
Mit einer Reihe von Gesetzen und Verordnungen wurden den jüdische Mitbürgern nach und nach ihre berufliche Existenz zerstört. So auch dem Weinheimer Ernst Braun, dem 1933 nach seinem Abitur im Realgymnasium der Zugang zur Universität als „Unerwünschter” verwehrt wurde. Er begann daraufhin eine kaufmännische Lehre bei den Lederwerken Hirsch, bis er Deutschland verlassen musste.
Anderen war es untersagt, nach bestandenem ersten juristischen Staatsexamen ihr Referendariat anzutreten; der Weinheimer Friedrich Maier zog daraufhin 1935 nach Mannheim und wanderte 1937 in die USA aus.
Oder auch Walter Altstädter, Gerichtsreferendar am Weinheimer Amtsgericht. Er konnte seine juristische Ausbildung nicht beenden und emigrierte 1934 nach Israel.

Nach und nach fand die Verdrängung jüdischer Mitglieder aus Vorständen, ehrenamtlichen Funktionen und Vereinen statt. Verdienstvolle Kollegen oder Sportkameraden wurden ohne eigenes Verschulden ihrer Ämter enthoben. So musste der Weinheimer Fabrikant Julius Hirsch als Vorstandsmitglied des Centralvereins der deutschen Lederindustrie zurücktreten und sein Bruder Max Hirsch seine Funktionen im badischen Gewerbeverein ebenso aufgeben wie seine Ehrenämter als Handelsrichter und Arbeitsrichter.

Die jüdische Reaktion auf die veränderte Situation

Trotz der Repressalien war es für die jüdische Bevölkerung anfangs sehr schwer, die Situation richtig zu beurteilen. In der Vergangenheit hatten sie oftmals mit Benachteiligungen und Demütigungen leben müssen, und so gingen sie davon aus, dass sie sich auch dieses Mal mit den neuen Gegebenheiten arrangieren könnten.
Auf der anderen Seite führte die zunehmende Isolation und Diskriminierung zur Bildung eines neuen Selbstbewusstseins. Das Zusammengehörigkeitsgefühl als Gruppe wurde intensiver, und man besann sich wieder auf die eigene Geschichte, Kultur und Religion. Die alten Gegensätze zwischen Ostjuden und Alteingesessenen sowie zwischen Zionisten und Zionistengegnern wurden in den Hintergrund gerückt angesichts der drohenden Gefahr seitens des NS-Regimes, das das Judentum als Ganzes betrachtete und dadurch die neue Verbundenheit unter den Juden stärkte.
Dieses neugewonnene Selbstbewusstsein führte im April 1933 zur Gründung des „Zentralausschusses für Hilfe und Aufbau”, der in der Folgezeit die organisatorische Basis der Emigration bildete, indem er Wirtschafts- und Rechtsberatung leistete, Kredithilfe gab und Akademiker, Mittelstand und Künstler unterstützte.
Auch die im September 1933 gegründete Dachorganisation der „Reichsvertretung deutscher Juden” unter den Vorsitzenden Leo Baeck und Otto Hirsch spielte bei der Organisation der Emigration eine wichtige Rolle.

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Die ersten Jüdinnen und Juden verlassen Weinheim

Trotz der engen Heimatverbundenheit und der Tatsache, nicht nur der Stadt, sondern auch dem Land mit aller Konsequenz den Rücken zu kehren, versuchten auch Weinheimer Jüdinnen und Juden, im Ausland eine neue Existenz aufzubauen. Im Rahmen der ersten Emigrationswelle, die bis zum Frühjahr 1935 anhielt, verließen 15 jüdische Bürgerinnen und Bürger Weinheim.
Wie schwer es war, die Heimat und Weinheim zu verlassen, wird in den Aufzeichnungen des Weinheimer Unternehmers Max Hirsch von 1940 deutlich:

„Damals wäre es mir, wie uns allen, wie feige Fahnenflucht erschienen, unser Werk und unsere Heimat, mit der wir so eng verwurzelt waren, und denen unsere ganze Lebensarbeit gehörte, zu verlassen. Der Gedanke war uns so entsetzlich und unfaßbar, daß wir ihn nicht wahrhaben konnten, noch immer waren wir von dem frommen Glauben beseelt, daß ein Kulturland wie unser Deutschland von dieser Seuche bald geheilt sein müsse.” Mehr dazu …

Die Entscheidung zur Auswanderung hing eng mit den bereits persönlich gemachten Erfahrungen im Naziregime zusammen. Wer bereits arbeitslos war, seine Karriere zerstört sah, schätzte die Risiken einer Emigration als eher gering ein; auch Schulentlassene ohne berufliche Zukunft, Studenten, die nicht mehr zu Prüfungen oder zum Studium zugelassen wurden sowie politisch engagierte Juden (Zionisten/Sozialisten) erkannten die Notwendigkeit einer Emigration früher, als Firmeninhaber, Einzelhändler, Handwerker oder Angestellte, die bis Anfang 1938 - wenn auch unter erschwerten Bedingungen - ihren Geschäften nachgehen konnten. In erster Linie wanderten Juden aus, die aus politischen Gründen besonders gefährdet waren, wie z.B. Politiker, Journalisten, Künstler, Akademiker, Beamte. Diejenigen, die die Gefährdung für sich selbst klar erkannten, nahmen zumeist an, dass das Naziregime bald abgesetzt werden oder seine Politik in bezug auf die Juden gemäßigt werden würde. Daher stellten sich diese ersten Emigranten auf einen nur vorübergehenden Aufenthalt ein und wanderten bevorzugt in die Nachbarländer aus.
Andere sahen aufgrund ihres Alters keine Möglichkeiten eines Neuanfangs und hofften, sich mit der Situation in Deutschland arrangieren zu können.
Ein weiteres starkes Auswanderungshemmnis wurde im Laufe der Zeit die 1931 eingeführte „Reichsfluchtsteuer”, die ursprünglich zur Eindämmung der Kapitalflucht verabschiedet worden war. Danach mussten ausreisewillige Juden, die 1931 ein Vermögen von mehr als 20.000 RM besaßen, ab 1933 25% vom Gesamtwert ihres Vermögens an das Deutsche Reich abführen. Das restliche Vermögen konnte man aber nicht in Deutschland in Fremdwährung einlösen, sondern man war gezwungen, die deutsche Währung im Ausland umzutauschen. Der anfänglich günstige Wechselkurs verschlechterte sich im Laufe der Jahre rapide. 1933 konnten die Emigranten nach Zahlung der Reichsfluchtsteuer noch 75% ihres Vermögens ins Ausland transferieren, doch blieben 1938 nach Abgeltung der Pflichtzahlungen nur rund 8% übrig. Nach 1938 war es zudem untersagt, Sachwerte mitzunehmen.

Die Nürnberger Gesetze

Mit dem Erlass der Nürnberger Gesetze vom 15. September 1935 war die rechtliche Entmündigung der deutschen Juden systematisch verwirklicht. Mit Inkrafttreten des „Reichsbürgergesetzes” verloren die Juden durch die Einteilung der Bevölkerung in „Staatsangehörige” und „Staatsbürger”, zu denen nun die Juden zählten, ihre bürgerliche Gleichberechtigung.
Festgelegt wurde, wer als Jude zu gelten habe. Mischehen zwischen Staatsangehörige und Juden waren verboten. Die bis zu diesem Zeitpunkt geschlossenen Mischehen standen unter massivem Druck seitens des NS-Regimes. Des Weiteren wurden den Juden das Wahlrecht aberkannt sowie ihre vollständige Entlassung aus dem öffentlichen Dienst bewirkt.

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Die Einschätzung der Situation durch die Betroffenen

Mit den Worten „jetzt wissen wir wenigstens, wo wir stehen”, begrüßte eine beträchtliche Anzahl der Juden die Nürnberger Gesetze. Sie glaubten, mit der rechtlichen Klarstellung, wonach sie in Zukunft „nur” noch „Staatsbürger” waren, würden die Nazis ihre antijüdischen Aktionen einstellen. Eine tatsächliche Beruhigung der Aktionen im Vorfeld der Olympischen Spiele 1936 ließ falsche Hoffnungen aufkommen. Zwar hatten die jüdischen Organisationen nach den Nürnberger Gesetzen klar erkannt, dass die endgültige Auflösung des Judentums in Deutschland nur eine Frage der Zeit war, aber keiner konnte ahnen, dass ein Regime zum Massenmord schreiten würde, dessen antijüdische Politik äußerlich so wenig konsequent war und dessen Behörden immer noch stark von einer traditionellen im Rechtsstaatsdenken geschulten Beamtenschaft bestimmt war.

Das Weinheimer Wirtschaftsleben

Auch die Zeit für jüdische Wirtschaftsbetriebe lief ab. Verantwortlich dafür war der 1936 verabschiedete Vierjahresplan. Damit ging die marktwirtschaftlich geprägte Phase relativer Autonomie zu Ende. In den Vordergrund rückten Pläne für Aufrüstung und der wirtschaftlichen Autarkie.
Ziel dieser Maßnahme war es, der Privatwirtschaft auf Schwerpunktgebieten staatliche Produktionsprogramme zu verordnen. Im Rahmen dieser Verordnung wurde allen „nichtarischen” Betrieben eine Kontingentkürzung von 10 % verhängt. Dies veranlasste Max Hirsch zu ersten Verkaufsgesprächen mit der Firma Freudenberg.
Antijüdische Aktionen vor Ort verschärften zusätzlich die bereits angespannte Situation der jüdischen Geschäftsleute. So wurde zum Beispiel in Weinheim der Sommerschlussverkauf im Juli 1937 von SA-Männern sabotiert, die sich vor den Eingängen der jüdischen Geschäfte postiert hatten und mit der Verteilung des „Stürmers” den Kunden das Betreten eines jüdischen Geschäftes fast unmöglich machten. An der Kreuzung Friedrich-, Linden-, Hauptstraße, am alten Rodensteinbrunnenplatz in der Bahnhofstraße wie auch in der Hauptstraße bei der damaligen Eisenhandlung Keller waren beidseitig beschriebene Transparente mit antisemitischen Parolen angebracht worden.

Mehr zur Rolle der Juden im Weinheimer Wirtschaftsleben ...

Zahlreiche Weinheimer Jüdinnen und Juden verlassen Weinheim

Als Konsequenz auf die sich weiter verschärfenden Lebensbedingungen verließen immer mehr jüdische Bürger Weinheim. Gründe dafür waren nicht nur die zerstörte berufliche Existenz, sondern auch die Sorge um die Familie, weshalb oft besonders die Ehefrauen auf eine rasche Auswanderung drängten.
Im Zeitraum zwischen Sommer 1935 und Ende 1937 verließen weitere 45 Weinheimer Juden ihre Heimatstadt.

Das Ende der Lederwerke Hirsch und der Feilenfabrik Freymann & Co.

Weitere Einschränkungen entzog den jüdischen Wirtschaftsbetrieben den Boden unter den Füßen, wie z.B. die „Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden” vom 26. April 1938. Sie bildete die Grundlage für weitere judenfeindliche Maßnahmen auf Verwaltungsebene und ermöglichte den gesetzlichen Ausschluss der Juden aus der Wirtschaft.
Mit dieser Verordnung wurden die Juden gezwungen, ihr gesamtes Vermögen (dazu gehörten auch Haushaltsgegenstände, Schmuck sowie Wertpapiere) den Finanzbehörden zu melden; ausgenommen von der Anzeigepflicht waren lediglich Vermögensgegenstände im Gesamtwert von weniger als 5000 RM.
Im Zuge dieser Verordnung sahen sich auch die Unternehmen Feilenfabrik Freymann & Co. im Müll sowie die Lederwerke Sigmund Hirsch in Weinheim gezwungen, ihre Firmen aufzugeben.

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Die Novemberpogrome

Ein Höhepunkt der NS-Diskriminierungspolitik waren die Novemberpogrome vom 9. bis 11. November 1938. Es kam zu weiteren organisierten öffentlichen Übergriffen seitens der Nationalsozialisten gegen jüdische Bürgerinnen und Bürger.
Anlass war das Attentat auf den Sekretär der deutschen Botschaft in Paris, Ernst Eduard vom Rath, durch den 17jährigen Herschel Grynszpan am 7. November 1938, dessen Eltern unter den 17.000 in Deutschland wohnenden polnischen Juden waren, die am 28. Oktober aus dem Reich ausgewiesen wurden. Das Regime nutzte diesen Racheakt zu gesteuerten Ausschreitungen gegen jüdische Bürger und Geschäfte in ganz Deutschland.
Im Befehl der SA-Gruppe Kurpfalz, der in der Nacht vom 9. zum 10. November an die nachgeordneten Dienststellen weitergegeben wurde, hieß es:

Innenansicht der zerstörten Synagoge, 5.1.1939„Auf Befehl des Gruppenführers sind sofort sämtliche jüdische Synagogen zu sprengen oder in Brand zu setzen. Nebenhäuser, die von arischer Bevölkerung bewohnt werden, dürfen nicht beschädigt werden. Die Aktion ist in Zivil auszuführen. Meutereien oder Plünderungen sind zu unterbinden. Vollzugsmeldung bis 8.30 Uhr.”

Die Zerstörung der Weinheimer Synagoge und erste Verhaftungen

Auch die Weinheimer Synagoge in der Bürgermeister-Ehret-Straße 5, die am 2. August 1906 feierlich eingeweiht worden war, fiel dieser Aktion zum Opfer. Vor der Sprengung zerstörten SA-Männer mit Äxten und Beilen den Innenraum sowie den Davidstern. Die Feuerwehr hatte Löschverbot.
In der Weinheimer Innenstadt wurden die Schaufenster der jüdischen Geschäfte eingeschlagen, es kam zu Hausdurchsuchungen und alle jüdischen Männer wurden verhaftet.

Abbildung: Innenansicht der zerstörten Synagoge, 5.1.1939.

Das spätere Schicksal des Synagogengrundstücks …

Das Ende des jüdischen Wirtschaftslebens in Weinheim 1938

In weiteren Gesetzen und Verordnungen wurde 1938 die „Zwangsarisierung” jüdischer Geschäfte angeordnet, Einzelhandelsgeschäfte mussten schließen, Handwerksberufe durften nicht mehr ausgeübt werden und in Betrieben wurden sogenannte Treuhänder eingesetzt. Parteidienststellen erfassten alle jüdischen Betriebe in ihren Kreisen und erstellten Listen über Verkaufswert und Liquidität.

Betroffen waren in Weinheim die Metzgerei Max Oppenheimer (Hauptstraße 112), die Wohlwert-Filiale Robert Lipsky (Hauptstraße 79), die Lederhandlung Theodor Kassel & Marx (Hauptstraße 47), das Textilwarengeschäft David Benjamin (Amtsgasse 1), das Kaufhaus Geschwister Mayer (Hauptstraße 100), das Warenhaus Moritz Neu (Hauptstraße 96), die Textilwarengeschäfte Josef Wetterhahn (Hauptstraße 69) und Isaak Heil (Hauptstraße 63), das Sattler- und Tapezierergeschäft Sigmund Brückmann (Hauptstraße 89).

Enteignung und weitere Einschränkungen

Die Enteignung jüdischen Eigentums setzte sich fort und führte im Februar 1939 dazu, dass Wertpapiere, Schmuck und Kunstgegenstände an öffentlichen Ankaufsstellen abzuliefern waren. Behalten durften die Juden nur, was sie zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes benötigten. Durch diese Verordnungswellen stieg die Anzahl der jüdischen Fürsorgeempfänger drastisch an. Rund 60% wandten sich hilfesuchend an die jüdischen Fürsorgeverbände, deren finanzieller Spielraum aufgrund staatlicher Eingriffe jedoch sehr beschränkt war.
Ziel dieser Aktionen war unter anderem, den Auswanderungsdruck auf die jüdische Bevölkerung zu verstärken. Daneben griff die Gestapo auch direkt ein, um die Emigration zu forcieren. So wurden zahlreiche Mitglieder der Reichsvertretung und der Hilfsvereine verhaftet und nur bei sofortiger Emigration wieder freigelassen. Dadurch war ein effektives Arbeiten der Hilfsvereine nicht mehr möglich.
In weiteren Verordnungen war es Juden auch untersagt, am allgemeinen kulturellen Leben teilzunehmen. Verboten waren Kino-, Theater- und Konzertbesuche. Führerscheine und Kraftfahrzeugzulassungen mussten zurückgegeben werden, der Mieterschutz ging verloren, die Vereinszugehörigkeit wurde aufgekündigt, die Pässe mit einem auffälligen „J” und den Zwangsnamen „Israel” respektive „Sara” versehen. Bei den Lebensmittelkarten, die mit Kriegsbeginn ausgegeben wurden und ebenso mit „J” gekennzeichnet waren, stand den jüdischen Bürgern eine geringere Ration zu.

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Letzte Fluchtmöglichkeiten vor Ausbruch des Krieges

Nach den Novemberpogromen wurden verzweifelte Versuche unternommen, sich ins Ausland zu retten. So berichtet Martin Eckstein im Weinheimer Jahrbuch 1991/92 über die Fluchtgespräche in der Familie, die nach den Novemberpogromen und der kurzen Inhaftierung des Vaters im Konzentrationslager Buchenwald immer häufiger geführt wurden. Doch fehlten Ecksteins die finanziellen Möglichkeiten einer Emigration. Die Familie zog am 29. März 1939 nach Pforzheim und lebte dort bis zum 22. Oktober 1940, dem Tag ihrer Verschleppung nach Gurs.
Wie den Ecksteins erging es vielen Juden. Diejenigen, die nicht bis spätestens zum Kriegsbeginn Deutschland verlassen konnten, hatten nur geringe Chancen, der NS-Vernichtungsmaschinerie zu entkommen. Wie beispielsweise Hugo Rothschild, der gemeinsam mit seiner Frau Ende August 1941 in die USA emigrieren wollte, aber am 22. Oktober 1940 zusammen mit 6502 weiteren pfälzischen und badischen Juden nach Gurs/Frankreich verschleppt wurde.

Andere wie Arthur [Hirsch], Julius [Hirsch] und Max Hirsch hatten mehr Glück. Nach ihrer Verhaftung am 10. November 1938 in Dachau hatten ihre Ehefrauen bereits Vorkehrungen getroffen, Weinheim zu verlassen. Dazu Max Hirsch:

„Es war eine schwere Abschiedsstunde, als wir unser Heim verlassen mußten, in dem wir als Kinder die schönsten Jahre einer sonnigen Jugend verbringen durften, in das meine Frau und ich als junges Paar unseren Einzug hielten, in dem unsere vier Kinder geboren wurden, und in dem die Eltern ihr glückliches, harmonisches Leben zu einer besseren Zeit beschließen durften. War man auch hart geworden gegen Entrechtung und Verfemung, so griff es uns doch ans Herz, als wir uns von der uns so teuer gewordenen Stätte für immer trennen mußten.”

An dieser Stelle soll das unbeschreibliche Glück der damals 14jährigen Margot Seewi, geb. Rapp, erwähnt werden, deren Eltern sie im Januar 1940 mit einem der letzten Kindertransporte in das damalige Palästina schickten. Sich der ganzen Tragweite bewusst, ist es nicht nachzuvollziehen, was in den Eltern vorgegangen sein musste beim Abschied von ihrer Tochter. Frau Seewi unternahm 1986 ihre ganz persönliche Pilgerreise nach Gurs, zu dem Ort, an den ihre Eltern, ihr kleiner Bruder Ernst [Rapp] sowie ihre Großmutter Recha Heil verschleppt worden waren.

Kriegsausbruch September 1939

Mit Hitlers Überfall auf Polen am 1. September 1939 erreichte die Judenverfolgung im Reich eine neue Dimension. Mit einem wahren Verordnungskatalog wurde die jüdische Bevölkerung letztlich zur Handlungsunfähigkeit verdammt. Ihr Leben war strikt reglementiert und isoliert worden und somit für die staatlichen Stellen kontrollierbar. Ausgangsbeschränkungen wurden auferlegt, der Kontakt zu Nichtjuden war untersagt, sie mussten ihre Radios abgeben und in „Judenhäuser” umziehen. Jene Juden, die noch in Lohn und Brot standen, mussten Ende 1940 eine Sozialausgleichsabgabe zahlen, die 15% des Einkommens betrug. Ab dem 1. September 1941 war der Judenstern sichtbar am Kleidungsstück befestigt zu tragen.
Ab Oktober 1941 wurde dem jüdischen Beschäftigten nur die tatsächlich geleistete Arbeit vergütet. Der Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder bezahlten Urlaub bestand nicht mehr, und Zuschläge für geleistete Arbeit an Sonn- und Feiertagen oder auch Überstunden wurden dem jüdischen Arbeitnehmer verwehrt. Sämtliche Zuschüsse wie Familien- oder Kinderzuschläge, Weihnachtsgratifikationen, Jubiläumsausgaben, Treuegelder oder auch Wöchnerinnenbeihilfen entfielen.
Der Reichsminister der Justiz ordnete am 20. November 1941 an, dass alle jüdischen Strafgefangenen sechs Wochen vor Entlassung der Gestapo zu melden seien, damit diese Gelegenheit habe, die Juden abzuholen. Die öffentlichen Leihbibliotheken standen den Juden nicht mehr offen, ab Dezember 1941 durften sie die öffentlichen Telefonzellen nicht mehr benutzen. Pelze und Wollkleidung mussten im Januar 1942 der Wehrmacht übergeben werden, ab Februar durften sie keine Zeitungen, Zeitschriften, Gesetz- und Verordnungsblätter beziehen.

Die Verschleppung Weinheimer Juden nach Gurs (22. Oktober 1940)

Nach der Besetzung Frankreichs wurde am 22. Juni 1940 zwischen der deutschen Wehrmacht und der französischen Regierung unter Pétain in Vichy ein Waffenstillstandsvertrag unterzeichnet. Dabei wurde Elsaß-Lothringen dem Deutschen Reich einverleibt und stand in Personalunion unter der Verwaltung der beiden Gauleiter Bürckel (Saarpfalz) und Wagner (Baden). In den Waffenstillstandsverhandlungen hatte die Vichy-Regierung ihre Zustimmung zur Abschiebung aller Juden aus Elsaß-Lothringen in das unbesetzte Frankreich geben müssen, was sich verheerend auch auf die badischen, rheinland-pfälzischen und saarländischen (Saarpfalz) Juden auswirken sollte. In willkürlicher Auslegung dieser Vereinbarung planten Wagner und Bürckel im Einverständnis mit Reichsregierung und Gestapo die Aktion „Bürckel”.
Umgesetzt wurde diese Verordnung am jüdischen Feiertag Sukkoth (Laubhüttenfest), dem 22. Oktober 1940. Frühmorgens wurden die völlig ahnungslosen jüdischen Bürger Weinheims respektive die badischen Juden von der bevorstehenden Verhaftung und Abschiebung in Kenntnis gesetzt. Je nach bewilligter Frist blieb den Betroffenen 15 Minuten bis zu drei Stunden Zeit, ihre notwendigsten Habseligkeiten zusammenzusuchen, wobei einem Erwachsenen ein Gepäckstück à 50 kg sowie ein Geldbetrag von 100 RM zugestanden wurde und einem Kind ein Gepäckstück à 30 kg. Schmuck, Sparbücher und Wertpapiere wurden dagegen beschlagnahmt.
Unter den 6504 Juden, von denen 5617 aus Baden stammten, befanden sich mindestens 65 Weinheimer Bürger.
Der vierjährige Ernst Rapp, die siebenjährige Doris Hirsch und der zehnjährige Kurt Altstädter waren die Jüngsten.
Die jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger wurden vom Weinheimer Schlosshof aus nach Mannheim gebracht und in Sonderzügen nach Frankreich abgeschoben. Die psychische Verfassung der Deportierten, von denen 60% älter als 60 Jahre alt waren, spiegelte die ganze Bandbreite menschlicher Reaktionen wider. Jahre voller Ängste und Repressalien lagen bereits hinter ihnen, und die meisten litten unsäglich unter den Ereignissen des 22. Oktober.

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Das Leben im Lager Gurs

Bei der Ankunft der Deportierten wurden die Männer von den Frauen und Kindern getrennt und die Gepäckstücke im Freien zusammengetragen. Die häufigen starken Regenfälle in dieser Region ließen die Habseligkeiten, bis sie denn aufgefunden werden konnten, oft unbrauchbar werden. Den Verschleppten bot sich ein trostloses Bild. In die Baracken der neun Männer- und vier Frauenîlots regnete es stellenweise hinein; sie mussten auf feuchtem Stroh schlafen, da anfangs kaum Strohsäcke vorhanden waren. Fenster waren nicht vorhanden, nur hölzerne Klappen, die durch Scharniere geöffnet werden konnten, elektrisches Licht gab es nur selten. Die primitiven Öfen konnten die Baracken nicht hinreichend erwärmen, zumal zu wenig Heizmaterial zur Verfügung stand.
Die tägliche Verpflegung in den ersten sechs Monaten setzte sich aus zwei Wassersuppen mit Rüben, gelegentlich Erbsen und selten mit einigen Gramm Fleisch sowie einer Brotration von 350 Gramm zusammen, was einer Kalorienzahl zwischen 980 und 1250 Kalorien entsprach. Zum Vergleich sei hier erwähnt, dass ein Mensch mit 60 kg Gewicht bei völliger Ruhe durchschnittlich 1800 Kalorien benötigt.
Die gesundheitlichen und hygienischen Verhältnisse waren unbeschreiblich. Waschgelegenheiten befanden sich außerhalb, waren zumeist defekt und im Winter eingefroren. Die Toiletten, einfache Kübel in halboffenen Verschlägen, waren für Alte und Kranke schwer zu erreichen, zumal sich der Lehmboden zwischen den Baracken bei den häufigen Niederschlägen und heftigen Gewittern oft in ein Schlammmeer verwandelte.
Friedhof in GursInfolge dieser unvorstellbaren Lebensbedingungen blieben Läuse und Flöhe, später auch Wanzen und Ratten nicht aus, und ruhrartige Darmerkrankungen, Fälle von Typhus sowie Tuberkulose und Hirnhautentzündungen führten in dem harten Winter 1940/41 zu einem grausamen Massensterben besonders unter den älteren Internierten.
Trotz der Bemühungen seitens der Ilot-Chefs, Obmänner der Baracken, der französischen Lagerleitung und besonders des Chefarztes, durch Desinfektionen Herr der Lage zu werden, erlagen über 1050 Menschen in Gurs während der Wintermonate den unerträglichen Verhältnissen, unter ihnen auch elf Weinheimer Bürger.

Abbildung: Jüdischer Friedhof in Gurs

Hilfs- und Rettungsmaßnahmen

Durch Veröffentlichungen in der ausländischen Presse (besonders in der Schweiz) über die katastrophalen Verhältnisse sah sich die Vichy-Regierung gezwungen, das Lager Gurs für Hilfsorganisationen zu öffnen. Das Schweizer Hilfswerk „Secours Suisse” unterstützte die Internierten mit Medikamenten und engagierte sich ebenso für die Kinder wie das französische Kinderhilfswerk OSE (Oeuvre de Sécours aux Enfants), das sich um die Verlegung der Kinder in Heime bemühte. Diesem Engagement hatte es der damals 11jährige Weinheimer Martin Eckstein zu verdanken, dass er nach vier Monaten Lagerleben zusammen mit 50 jüdischen Kindern in ein Waisenheim nach Aspet (Département Haute Garonne) zu 120 französischen Waisenkindern gebracht wurde und somit als einziger seiner Familie überlebte. Seine Eltern Albert (49) und Felicie Eckstein (48) sowie seine 19jährige Schwester Lore, die ebenfalls in das Lager Gurs verschleppt worden waren, wurden nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Die Quäker, die sich um die Kinder in Aspet kümmerten, verhalfen dem jungen Martin zur Flucht zu Verwandten in Zürich.
Auch Kurt Altstädter musste das Schicksal Martin Ecksteins teilen. Als Zehnjähriger mit seinen Eltern Ludwig und Karolina Altstädter nach Gurs verschleppt, arbeitete er bis 1942 bei Bauern in Aix-les-Bains und überlebte den Krieg anschließend in Genf. Seine Eltern kamen 1942 in Auschwitz ums Leben.
Die damals siebenjährige Doris Hirsch überlebte ebenfalls als Einzige nur dank derer, die sie in verschiedenen Kinderheimen versteckt hielten.

Aber auch in dieser Situation bestand noch die Möglichkeit zur Emigration, auch wenn diese oft von Willkür und Launen der französischen Verwaltungsbeamten abhing.
Es wurde ein Visum für Übersee benötigt, eine Durchreisegenehmigung für Spanien, Portugal oder Marokko sowie ein von der Vichy-Regierung ausgestelltes Ausreisevisum. Des Weiteren mussten eine Schiffskarte sowie Devisen für die Reisekosten im Wert von $ 400 besorgt werden und die Verwandten oder Freunde ihre Einwilligung für eine Aufnahme des Emigranten geben. Die „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland” bemühte sich, die Ausreisepapiere zu beschaffen und nach Gurs weiterzuleiten. Erschwert wurden diese Bemühungen durch den Erlass des Reichssicherheitshauptamtes vom 28. Februar 1941, der verfügte, dass die erforderlichen Dokumente über die deutsche Vertretung in Paris angefordert werden mussten.
Den Weinheimern Kurt Altstädter, Mina Irma Mayer und Kathinka Stiefel gelang auf diesem Weg die Flucht in die Sicherheit.

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Enteignung des jüdischen Privatbesitzes in Weinheim

Im Rahmen der Abschiebung badischer und somit auch Weinheimer Juden nach Gurs fand die größte Enteignungsaktion des jüdischen Privatbesitzes statt. Bei der Deportation mussten Sparbücher, Wertpapiere, Schmuck und Bargeld (soweit es die zugebilligte Freigrenze von 100 RM überschritt) zurückgelassen werden. Die Wohnungen wurden versiegelt und später inventarisiert.
Der Mannheimer Polizeipräsident gab für die Stadt Weinheim den Auftrag, mit einer Bestandsaufnahme sowie Schätzung der Gegenstände zu beginnen, die die Weinheimer Jüdinnen und Juden in ihren Häusern und Wohnungen zurücklassen mussten. Wertgegenstände sowie Bargeld, Schmuck und Silber waren an das Mannheimer Präsidium zu übergeben, sollten geeignete „Verwertungsmöglichkeiten” jüdischer Gegenstände für die Weinheimer Gemeinde bestehen, bitte der Präsident um Benachrichtigung. Die vorhandenen Lebensmittel sollten ebenfalls im Verzeichnis aufgeführt und NS-Organisationen zur Verfügung gestellt werden.
Für die Stadt Weinheim wurden öffentliche Schätzer bestimmt, die en détail das gesamte Inventar, Möbel wie einfache Haushaltsgegenstände der jüdischen Wohnungen auflisteten und nach fünf Kategorien sortierten.
Privatwohnungen jüdischer Bürgerinnen und Bürger, die ihr Heim im Zuge der Verschleppung nach Gurs überstürzt und mit dem Notwendigsten verlassen mussten, wurden aufgebrochen und veräußert.

Veräußerungen und öffentliche Versteigerungen in der Weinheimer Obstgroßmarkthalle

Nach Abschluss dieser Auflistung fand am 6. Dezember 1940 eine Besprechung im Weinheimer Rathaus über die weitere Vorgehensweise der „Verwertung der jüdischen Vermögen” mit dem Mannheimer Polizeipräsidenten statt.
Ergebnis war u.a. eine öffentliche Versteigerung von Haushaltsgegenständen, wobei eine Aufwandsentschädigung von 10% erhoben wurde.
Die öffentlichen Versteigerungen der jüdischen Haushaltsgegenstände fanden vom Dezember 1940 bis Februar 1941 in der Weinheimer Obstgroßmarkthalle statt.
Die letzte angezeigte Versteigerung in der Weinheimer Obstgroßmarkthalle fand am 6. Februar statt.
Bis auf Weiteres verwaltete die Stadt Weinheim die Grundstücke, Häuser, Gärten, Äcker etc. der jüdischen Bürger, eine Veräußerung war zunächst nicht vorgesehen. Stadtverwaltung und Ortsgruppenleitung übernahmen die Vergabe der leerstehenden jüdischen Wohnungen. Von den vorliegenden 33 Wohnungsgesuchen sollten in erster Linie kinderreiche Familien bevorzugt werden. Eine Nutzung als Geschäftsräume, Büros, auch für Partei und ihre Gliederungen, war nicht gestattet.

Die Wannseekonferenz (20. Januar 1942)

Am 20. Januar 1942 fand die Wannseekonferenz statt, auf der die planmäßige und systematische Vernichtung des europäischen Judentums beschlossen wurde.
In der Folge wurden am 14. Februar 1942 mit der Auflösung der jüdischen Auswandererberatungsstellen die letzten Hoffnungen auf Rettung ins Ausland zunichte gemacht.

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Erste Transporte in die Vernichtungslager

Waren auch schon vor der Wannseekonferenz Deportationen in die Konzentrationslager durchgeführt worden, so wurden nun Massenrazzien und großangelegte Transporte in die Vernichtungslager organisiert.
Ab Februar 1942 rollten die ersten Transporte in die Vernichtungslager Auschwitz und Lublin/Majdanek. Dies galt auch für die Menschen, die bis zu diesem Zeitpunkt noch in Gurs interniert waren. Begonnen wurde mit der Deportation von Juden, die keinen Schutz durch den nichtjüdischen Partner oder die nichtjüdischen Kinder besaßen. Anfang 1944 verschleppte die Gestapo Witwen von Nichtjuden, auch wenn sie nichtjüdische Kinder hatten. Ab Februar 1945 schließlich waren alle Juden schutzlos dieser Maschinerie ausgesetzt, auch die Partner von noch bestehenden Mischehen. So sollte auch die Weinheimerin Margareta Siehl Mitte Februar mit einem dieser letzten Transporte nach Theresienstadt deportiert werden. Ihr Mann, so genannter „Arier”, hatte bereits 1937 seine Anstellung als Lehrer verloren, da er die Scheidung von seiner jüdischen Frau ablehnte.
In einem Leserbrief in den Weinheimer Nachrichten vom 17. Januar 1996 beschreibt ihr Sohn Hans Martin, wie seine Mutter diesem Transport entkam:

„[...] Meine Mutter sollte Mitte Februar 1945 mit einem (aus der Rückschau „letzten”) Transport nach Theresienstadt gebracht werden. Mein Vater kämpfte - wie die Jahre zuvor - wie ein Löwe um das Leben seiner Frau. Aber keiner, auch die nicht, die ihm bislang geholfen hatten, konnten jetzt noch etwas tun. Alle Juden, getauft oder nicht, sollten zum Kriegsende noch vernichtet werden. Wir saßen am Sonntag mittag zusammen, um verzweifelt von Mutter und Ehefrau Abschied zu nehmen. Einen Tag später (nach dem Tagebucheintrag meines Vaters war es der 12. Februar 1945) tauchte unser Hausarzt Dr. Jahn bei uns auf und machte meinen Eltern folgenden Vorschlag: „Ich schreibe Sie transportunfähig und gebe Ihnen einige Strophantinspritzen. Das könnte Sie vor dem Abtransport am Dienstag bewahren.” Mein Vater brachte noch am gleichen Tag das Attest zur Gestapo nach Mannheim und zum Amtsarzt. Und das Wunder geschah. Der letzte Transport fuhr ohne sie ab [...].”

Nach Kriegsende

Nach dem derzeitigen Stand der Forschungen konnten von den 285 jüdischen Bürgern, die nach 1933 in Weinheim lebten, 114 (40 %) emigrieren.
Lediglich zehn Personen (3,5 %) überlebten das Ende des Naziterrors in Weinheim. Es handelte sich dabei um fünf jüdische Frauen, die mit „Ariern” verheiratet waren, und deren Kinder.
Ernst Braun, Sohn des Weinheimer Textilkaufmannes Adolf Braun, konnte 1935 in die USA emigrieren und kam als amerikanischer Soldat nach Deutschland. In seiner Funktion als Rundfunksprecher richtete er Appelle zur Kapitulation an die deutschen Soldaten. Über seine Gefühle bei einem Besuch in Weinheim schreibt er:

”[...] and the back of our former house looks exactly it did ten years ago. The name of Braun of course has been replaced by the name of Delert. I looked around and although everything looked familiar it looked strange, cold and repulsive to me. The spirit, the sentiment, the atmosphere of former years had gone. All that used to be near and dear to me was removed. At that point I did not think that I was recognized at all in Weinheim.”

 

”[...] und die Rückseite unseres früheren Hauses sah genau wie vor zehn Jahren aus. Natürlich war der Name Braun durch den Namen Delert ersetzt worden. Ich schaute mich um und obwohl mir alles vertraut schien, so war es doch fremd, kalt und abstoßend. Der Geist, das Gefühl und die Atmosphäre früherer Jahre waren verschwunden. Alles was mir lieb und teuer war, war vergangen. Ich glaube, dass mich bis zu diesem Zeitpunkt überhaupt niemand in Weinheim erkannt hatte.”

Sein Bruder Alfred Braun regte ein Treffen ehemaliger jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger an, das vom 28. Mai bis 5. Juni 1979 hier in Weinheim stattfand. 17 frühere Weinheimerinnen und Weinheimer hatten sich auf den Weg in ihre frühere Heimatstadt gemacht. Ein weiteres Treffen kam vom 15. bis 20. April 1991 zustande.

Treffen der ehemaligen jüdischen Bürger 1979

Abbildung: Treffen der ehemaligen jüdischen Bürger, 1979.

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