Einweihung der Synagoge (Ehretstraße 5)
Die ungenügenden Platzverhältnisse, die Gemeinde zählte rund 160 Mitglieder, die hohe Feuersgefahr in der alten Synagoge sowie das Bedürfnis, einen angemessenes Gebäude zu errichten, veranlassten den Synagogenrat, einen Fonds für einen Neubau anzulegen. 1905 hatte dieser Fonds die Höhe von 9150 Mark erreicht. Die jüdische Gemeinde konnte 1905 aufgrund der „Opferwilligkeit” der Gemeindeangehörigen einen günstigen Bauplatz in der Ehretstraße erwerben. Der Kaufpreis für das Gelände betrug 7.500 Mark.
Der Synagogenrat, bestehend aus Wolf Lehmann, Berthold Kaufmann und Ferdinand Rothschild, und ein gewähltes Baukomité, bestehend aus Sigmund Hirsch, Dr. Moritz Pfälzer und Isaak Heil, beauftragten den Frankfurter Architekten Max Seckbach mit den Plänen und Ausarbeitungen.
Für den Neubau war eine Gesamtsumme von 41.500 Mark einschließlich des Architektenhonorars festgesetzt. Die Finanzierung wurde durch die Aufnahme einer Hypothek, Beiträge zum Baufonds, Sammlungen, den Verkaufswert der alten Synagoge und eine großzügige Spende des Lederfabrikanten Sigmund Hirsch gesichert.
Am 7. Juli 1905 wurden in Weinheim die ersten Spatenstiche von den 6 ältesten Gemeindeglieder die ersten Spatenstiche ausgeführt. Die Grundsteinlegung erfolgte am 14. August 1905; die Urkunde zur Grundsteinlegung ist erhalten.
Am 2. August 1906, um 9 Uhr, fand ein Abschiedsgottesdienst in der bisherigen Synagoge statt. Danach bewegte sich ein großer Festzug vom Stadtgarten zur neuen Synagoge.
Hinter einer Musikkapelle, der Schuljugend und dem neu gebildeten Synagogenchor liefen Schlüsselträgerin, Rabbiner und Vorbeter, Toraträger, die Mitglieder des Synagogenrates und der Baukommission, der Architekt, Ehrengäste, Bauhandwerksmeister und die männlichen Mitglieder der Gemeinde die Ehretstraße hinab bis zum Portal des neuen Gotteshauses. Die weiblichen Gemeindemitglieder hatten bereits auf dem Emporen der neuen Synagoge Platz genommen.
Abbildung: Urkunde zur Grundsteinlegung.
Zahlreiche Weinheimer Bürger standen am kurzen Festzugsweg.
Die Einweihungsfeier war ein Fest für die ganze Stadt, die Straßen waren mit schwarz-weiß-roten (Kaiserreich), gelb-rot-gelben (Großherzogtum Baden) und weiß-blauen (Stadt Weinheim) Fahnen geschmückt. „So ehrt Weinheim das Werk seiner Mitbürger und sich selbst”, schrieb der Weinheimer Anzeiger.
Die Beziehungen zwischen den christlichen und den jüdischen Weinheimern waren freundlich, wenn auch nicht ganz frei von Spannungen. Vielleicht deshalb stellte Sigmund Hirsch, Vorsitzender der Baukommission, nach der Schlüsselübernahme das Treuebekenntnis zu Deutschland in den Mittelpunkt seiner Ansprache: Dieses neue Gotteshaus möge allen Menschen verkünden, „dass wir alle treue Söhne deutschen Landes, deutscher Kultur und deutschen Geisteslebens sind, dass wir aber auch in Liebe und Treue unserem angestammten Glauben anhangen und unserer Väter Geist und Väter Art in Pietät dem Stamm erhalten wollen.”
Referendär Obkircher als Vertreter des Staates führte aus: „Wenn ich als Vertreter der Großherzoglichen Staatsbehörde den Schlüssel aus der Hand des Architekten entgegennehme, um ihn alsbald Ihrem Synagogenvorsteher zu überreichen, so ist das keine leere Zeremonie; es soll vielmehr versinnbildlichen, dass der Staat nicht abseits stehen kann und will, wenn ein so wichtiges Ereignis im Leben einer vom Staate anerkannten Religionsgemeinschaft gefeiert werden soll”.
In der Festpredigt bekannte sich Bezirksrabbiner Dr. Pinkuss (Heidelberg) zu religiöser Toleranz: „Wir erhoffen und wir glauben daran, dass die Menschen geschaffen sind, Frieden zu geben, einer dem andern, den Frieden, der sich gründet auf Wahrheit und Liebe”.
Nach einem Gebet für den deutschen Kaiser und den badischen Großherzog "durchbrauste" - so der Weinheimer Anzeiger – „eine machtvolle, gewaltige Komposition zu Psalm 127 das Gotteshaus, ein Werk unserer jungen, vielversprechenden einheimischen Klavierkünstlerin Fräulein Pauline Rothschild, das sie der Gemeinde zur Einweihung der Synagoge gewidmet hat”. Ein Hinweis auf die Orgel, die in jüdischen Gemeinden nicht unumstritten war.
Dem Einweihungs-Gottesdienst, der seine Höhepunkte im Einheben der Torarollen in den Toraschrein und im Anzünden und Weihen des Ewigen Lichtes fand, folgte am Nachmittag im Hotel „Pfälzer Hof" ein festliches Essen. Bürgermeister Heinrich Ehret betonte in seinem Grußwort, die israelitische Gemeinde habe „jederzeit dazu beigetragen, den religiösen Frieden in Weinheim zu wahren”, und das Stadtoberhaupt erhob sein Glas in der Hoffnung, „dass es so bleiben möge”.
Abbildung: Denkschrift zur Einweihung
Ein bedeutendes Stück Kultur- und Stadtgeschichte präsentierte Synagogenrat Berthold Kaufmann mit der Darstellung der Geschichte der Weinheimer Juden. Er wandte sich am Ende seiner von großer Sachkenntnis getragenen Ausführungen an die Festgemeinde mit dem Wunsch, dass sie „blühe und gedeihe als ein Glied einer Jahrtausende alten Kultur”.
Auch Rechtsanwalt Dr. Moritz Pfälzer, Anwalt im Landgerichtsbezirk Mannheim, Mitglied der Gemeinderatsfraktion der Deutschen Demokratischen Partei, lange Jahre Vorstand der israelitischen Gemeinde Weinheim und stellvertretender Vorsitzender des jüdischen Oberrates in Karlsruhe, hatte einen Wunsch: Das neue Haus möge ein Zeichen dafür sein, „dass der Tag nicht mehr fern ist, an dem man den Menschen nicht mehr beurteilt nach seiner Religion oder Abstammung”.
Ein Huldigungstelegramm wurde an Großherzog Friedrich gesandt, das dieser am Abend mit einem Dankestelegramm beantwortete.
An den beiden nächsten Tagen waren zu Festgottesdiensten auch Menschen eingeladen, die nicht der israelitischen Gemeinde angehörten, und am darauf folgenden Sonntag wurde die neue Synagoge zur Besichtigung geöffnet.
Text: Andrea Rößler