Juden im Wirtschaftsleben Weinheims
Juden war Jahrhunderte lang der Zugang zu den normalen Berufen, die meist zünftig organisiert waren, verwehrt worden. Meist waren sie als Viehhändler oder Trödelhändler tätig. Ab 1807 begann das Großherzogtum Baden, durch mehrere Edikte und Verordnungen schrittweise den jüdischen Bewohnern die gleichen Rechte zuzugestehen, wie den übrigen Staatsbürgern. Ein Abschluss wird allerdings erst 1862 mit dem Gesetz über die bürgerliche Gleichstellung der Israeliten erreicht. Als Voraussetzung zum Erwerb des Gemeinde- und Bürgerrechts wurde allerdings die Ausübung eines Gewerbes, Kaufmannshandel oder der freie Handel angesehen. Noch eine Auflistung aus dem Jahr 1825 zeigt, dass keiner der älteren Männer in Weinheim einen Beruf erlernt hatte. Die jüngeren Weinheimer allerdings erlernten Berufe wie Schmied oder Schuhmacher.
Abbildung: Textilgeschäft von Adolf Braun in der Hauptstraße 94, um 1925.
Überdurchschnittlich hoch waren Juden im Kaufmannsberuf oder den freien Berufen wie Arzt oder Anwalt vertreten. So gab es in Weinheim Anfang der 1930er Jahre 35 selbstständige jüdische Kaufleute, mit Geschäften vor allem entlang der Hauptstraße. Aber auch jüdische Handwerker wie der Schuhmacher Samuel Simon, der Schneider Herbert Stiefel, der Polsterer Sigmund Brückmann und die Metzger Karl David, Hermann Hirsch und Max Oppenheimer waren hier angesiedelt.
Auch Weinheimer Industriebetriebe hatten jüdische Besitzer. Sigmund Hirsch, ein aus Mecklenburg stammender Gerber, pachtete 1867 zusammen mit seinem Schwager Louis Mayer eine Gerberei in einem Gebäude am Diebsloch. Aus ihr geht später die Lederfabrik Hirsch hervor. Die Firma entwickelte sich gut und stand 1908 mit etwa 150 Arbeitern und Angestellten an der Spitze der Rossledergerbereien in Deutschland. Um die Jahrhundertwende errichtete die Firma Hirsch wie schon die Firma Freudenberg neue Produktionsgebäude an der Bahnlinie.
Unter nationalsozialistischen Druck wurde die Firma 1938 liquidiert; die Firma Freudenberg übernahm die Liegenschaften und das Personal. Die Familie Hirsch verließ Deutschland.
Abbildung: Anzeige des Schuhauses Hirsch in der Hauptstraße 94, um 1920.
Seit 1920 war die Feilenfabrik im Müllheimertal im Besitz von Ludwig Kahn, der sie 1938, da er als Jude sein Geschäft nicht mehr weiterführen durfte, an Otto Steuerwald verkaufte. Bis 1970 wurden hier Feilen gehauen.
Geschäfte mit jüdischen Inhabern
Der Gang durch die Hauptstraße ist zugleich ein Gang entlang zahlreicher bis 1938 noch bestehender jüdischer Geschäfte und Wohnhäuser. Dazu zählen:
Hauptstraße 112: Metzgereibetrieb Max Oppenheimer; 1938 verkauft; Max Oppenheimer konnte 1939 auswandern
Amtsgasse 1: Textilwarengeschäft David Benjamin; 1938 enteignet;
David und Emilie Benjamin wurden 1940 nach Gurs deportiert und starben dort.
Amtsgasse 3: Herren- und Knabenbekleidung Ferdinand Stiefel;
Ferdinand und Kathinka Stiefel wurden 1940 nach Gurs deportiert, Stiefel starb dort 1941, seine Frau konnte 1942 in die USA auswandern.
Hauptstraße 109: Lederwarengeschäft Leopold Josef Schweiger; 1941 verkauft; Leopold Josef Schweiger verzog 1938 ins Ausland.
Hauptstraße 100: Kaufhaus Geschwister Mayer; Geschäftsaufgabe 1936.
Hauptstraße 97: Textilwarengeschäft Heinrich Liebmann; 1938 enteignet; Heinrich Liebmann wurde 1940 nach Gurs deportiert und später für tot erklärt.
Hauptstraße 96: Warenhaus Moritz Neu; 1938 verkauft; der Inhaber Moritz Neu verzog 1939 nach Mannheim.
Hauptstraße 94: Textil- und Sportartikelgeschäft Adolf Braun; 1936 verkauft; Braun konnte 1937 emigrieren.
Abbildung: Kaufhaus Geschwister Mayer in der Hauptstraße 100, um 1910.
Hauptstraße 89: Sattler- und Tapeziergeschäft Sigmund Brückmann; 1938 verkauft; Sigmund Brückmann wurde 1940 nach Gurs deportiert und starb 1943 in Nexon.
Hauptstraße 79: Wohlwert-Filiale von Robert Lipsky.
Hauptstraße 75: Manufaktur- und Modewaren Gebr. Rothschild; Geschäftsaufgabe 1938/39; Hugo Rothschild konnte 1939 in die USA emigrieren.
Hauptstraße 73: Textilwarengeschäft Josef Wetterhahn; 1938 verkauft; Josef Wetterhahn war 1937 gestorben, seine Frau Sophie wurde 1940 nach Gurs deportiert.
Hauptstraße 67: Textilwarengeschäft Jakob Rothschild; 1935 verkauft; der Inhaber Maier konnte emigrieren.
Hauptstraße 63: Textilwarengeschäft Isaak Heil, 1938 verkauft; Isaak Heil starb 1938; Recha Heil starb nach der Deportation nach Gurs 1940.
Hauptstraße 63: Haushaltswarengeschäft Ferdinand Neu; Hedwig und Ferdinand Neu wurden nach Gurs deportiert und 1942 in Auschwitz ermordet.
Hauptstraße 47: Lederwaren-Fachgeschäft Kassel & Marx; Theodor Kassel starb 1937; seine Witwe Berta Kassel wurde ermordet. Den beiden Kindern Simon Werner und Johanna gelang die Emigration.
Hauptstraße 43: Mehl- und Getreidehandlung Levi Altstädter; Levi Altstädter starb 1933, seine Witwe Rosa Altstädter starb 1943 in Theresienstadt.
Hauptstraße 17: Eisenwarenhandlung Albert Eckstein; die Familie Eckstein verzog 1939 nach Pforzheim und wurde 1940 nach Gurs deportiert; Albert und Felicie Eckstein wurden 1942 in Auschwitz ermordet; die Tochter Lore Eckstein wurde nach Gurs deportiert und später für tot erklärt. Martin Eckstein gelang die Flucht aus Gurs in die Schweiz.