Rundgang „Jüdische Spuren in Weinheim”
Elf Stationen in der Stadt Weinheim mit einer voraussichtlichen Dauer von ca. 1,5 h
Zunächst einige Worte zum Verständnis der jüdischen Diaspora (griech.: „Zerstreuung”). Der Begriff bezeichnet ein Gebiet bzw. die Anhänger einer konfessionellen Minderheit, die freiwillig unter Andersgläubigen leben. Die Betonung liegt auf der Freiwilligkeit im Gegensatz zum Exil, das als Strafe Gottes verstanden wird. Die Diaspora beginnt im Jahr 135 mit dem Ende der jüdischen Eigenstaatlichkeit.
Um das Jahr 70 (Zerstörung des Tempels in Jerusalem) gab es schätzungsweise zwei Millionen Juden in Palästina, dagegen rund vier Millionen Juden im Römischen Reich außerhalb Palästinas und etwa eine weitere Million außerhalb des Imperium Romanum.
Wahrscheinlich gab es schon im 1. Jahrhundert n. Chr. im Gefolge der römischen Heere erste jüdische Siedler in den Legionslagern an Rhein und Mosel.
Rundgangstationen im Stadtplan …
Weitere Orte jüdischen Lebens in der Weinheimer Innenstadt …
Station A: Der Marktplatz
755 n. Chr. wurde Winenheim (Heim des Wino) im Lorscher Codex, dem Urkundenbuch des Klosters Lorsch, erstmals urkundlich erwähnt.
Im Jahr 1000 verlieh Kaiser Otto III. dem Kloster Lorsch für Weinheim das Marktrecht, das 1065 durch König Heinrich IV. um ein Münzrecht erweitert wurde. Zur Sicherung des Ortes wurde die Burg Windeck gebaut.
1232 wurde das Kloster dem Mainzer Erzbischof unterstellt. Zwischen ihm und dem Pfalzgraf kam es zu Streitigkeiten, in deren Folge der Pfalzgraf um 1250 die Neustadt als Gegengründung anlegte. In einem Schiedsspruch erhielt 1264 die Pfalz die Neustadt und die Burg Windeck zugesprochen. Hierbei wurde die Neustadt zum ersten Mal als „Stadt” bezeichnet, nähere Umstände der Stadtrechtsverleihung sind nicht überliefert. 1308 ging die Altstadt auf die Pfalz über. Ab 1368 gehörte Weinheim zum unveräußerlichen Kerngebiet der Kurpfalz.
Im Dreißigjährigen Krieg, im Holländischen Krieg und im Pfälzischen Erbfolgekrieg wurde die Stadt mehrfach von fremden Truppen erobert und die Burg zerstört.
Als 1803 die Kurpfalz aufgelöst wurde, kam Weinheim zu Baden.
Abbildung: Altes Rathaus am Marktplatz, heutige Ansicht.
Station B: Judengasse (Standort Ecke Münzgasse)
Die Juden standen im Mittelalter zunächst unter königlichem Schutz. Zwischen 1298 und 1391 werden einzelne Juden in der Stadt genannt. Eine erste jüdische Gemeinde ist in Weinheim für das 13. Jahrhundert bezeugt.
Das Martyrologium des Nürnberger Memorbuches zählt unter den Orten, durch die 1298 bei der Judenverfolgung die Horden des Ritters (oder Metzgers) Rindfleisch zogen, auch Weinheim auf. 79 Juden verbrannten in der Synagoge, in die sie sich vermutlich flüchteten und die von den Verfolgern angezündet wurde. Der genaue Standort dieser Synagoge ist unbekannt.
Ende des 16. Jahrhunderts taucht in den Quellen erstmals der Name „Judengasse” auf, obwohl zu dieser Zeit wohl keine Juden mehr in Weinheim lebten. Es existieren aus den Jahrhunderten davor nur wenige Urkunden. Jüdischer Besitz kann für diese Zeit daher nicht genau nachgewiesen werden.
Abbildung: Die Judengasse auf einer historischen Ansichtskarte, ca. 1920.
Station C: Judenturm (Standort: Hof des Grundstücks Judengasse 9)
Als „des Herzogs Turm, den man nennt den Juden Torne” wurde der Judenturm erstmals 1434 erwähnt.
Nach der zweiten Judenvertreibung von 1391 durch Pfalzgraf Ruprecht II. (der „Harte”) galt für alle folgenden Pfalzgrafen der in einer Urkunde von 1401 nieder-geschriebene Grundsatz, "dass ewiclich kein Jude oder judynne in slossern und lande der pfaltz und herzogtums obgenant wonen, sesshaftig oder blibehafftig sin sol." Dennoch wurden immer wieder bei einzelnen Juden befristete Ausnahmen gemacht.
Abbildung: Judenturm im Merian-Stich
Noch im 17. Jahrhundert war der Turm viereckig und hatte vier Geschosse, so wird er auf dem Merian-Stich im Foyer des Museums der Stadt Weinheim dargestellt.
Später erscheint der Turm teilweise verfallen, denn die Stadtansicht von Rieger aus dem Jahr 1787 zeigt ihn nur noch als Turmstumpf, der allerdings wesentlich höher ist als die heutigen Mauerreste.
Abbildung: Reste des Judenturms von der Grundelbachstraße aus gesehen
Station D: Judengasse 15-17 / Büdinger Hof mit dem Eingang zur zweiten Synagoge
In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts wohnten in Weinheim, Heppenheim und Bensheim insgesamt 15 jüdische Familien.
Die Verfolgung in der Pestzeit vernichtete 1349 auch die kleine Weinheimer Gemeinde. In der zweiten Hälfte des 14.
Jahrhunderts scheinen wieder Juden zugezogen zu sein. 1355–1371 sind Schutzbriefe für mindestens neun Familien genannt. Sie konnten sich in der Judengasse eine Synagoge erbauen. Als "Judenschule" wird sie bei der Ausweisung der Juden aus der Kurpfalz 1391 erstmals genannt. An der Stadtmauer wurde 1878, zwei Jahre nach einem großen Brand in der Judengasse, an einem steinernen Torbogen eine hebräische Inschrift entdeckt, aus der zu entnehmen war, dass dieser Torbogen einstmals zum Lehr- und Bethaus, zur zweiten Synagoge Weinheims, führte.
Leider wurde die Fundstelle „mangels historischem Interesse” damals wieder zugemauert, so dass von dieser zweiten Synagoge nichts mehr übrig geblieben ist.
Abbildung: Blick auf den Büdinger Hof, aktuelle Ansicht.
Station E: Sigmund-Hirsch-Platz
Das so genannte Judenedikt von 1809 brachte den Juden noch nicht die volle Gleichberechtigung. Diese wurde erst 1862 mit dem „Gesetz über die bürgerliche Gleichstellung der Israeliten” erreicht.
Den 22-jährigen aus Mecklenburg stammenden Gerber Sigmund Hirsch und seinem Schwager Louis Mayer hinderten daher weder Gesetze noch Zunftvorschriften, als sie 1867 die Gerberei von Albrecht und Friedrich Kraft kauften. 1908 stand die Firma mit 150 Beschäftigten an der Spitze der Rossledergerbereien in ganz Deutschland. Das Unternehmen hatte sich zu einer Weltfirma entwickelt.
Nach dem Tod von Sigmund Hirsch 1908 führten die Söhne Max und Julius das Unternehmen weiter. 1933 hatte die Firma knapp 400 Beschäftigte.
Unter dem nationalsozialistischen Druck musste die Firma 1938 liquidiert werden. Personal und Liegenschaften werden von der Firma Freudenberg übernommen. Max und Julius Hirsch und ihre Familien konnten 1939 in die USA emigrieren, wo sie 1950 beziehungsweise 1955 starben. Sowohl Sigmund als auch Max Hirsch waren Mitglieder des Bürgerausschusses bzw. des Gemeinderates der Stadt Weinheim gewesen.
Auf dem Platz standen bis 1982 die Gebäude der ehemaligen Hirsch’schen Rosslederfabrik
Abbildung: Blick auf den Sigmund-Hirsch-Platz, aktuelle Ansicht.
Station F: Hauptstraße 143, Dritte Synagoge von 1680 bis 1906
Bis zur Beendigung des 30-jährigen Krieges lebten vereinzelt jüdische Personen in der Stadt. Ende des 17. Jahrhunderts wohnten bereits 15 Familien in Weinheim. Der Vorsteher Mayer Oppenheim und sein Sohn Mordche, der später ebenfalls Vorsteher war, errichteten 1680 bis 1690 eine neue Synagoge in der heutigen Hauptstraße 143 mit eigenen Mitteln, nachdem der Kurfürst eine finanzielle Unterstützung abgelehnt hatte.
Die Synagoge wurde mehrmals renoviert. Obwohl die Gemeinde von 1792 bis 1802 etwa 900 Gulden zur Renovierung aufbrachte, war die Synagoge 1812 in einem so maroden Zustand, dass sie polizeilich geschlossen werden musste.
Ein Neubau jedoch kostete 1420 Gulden. Da die Gemeinde das Geld nicht hatte, wurde der Gottesdienst vorübergehend in einem anderen Raum abgehalten.
Um 1870, die Gemeinde war mittlerweile auf 129 Mitglieder und damit 2% der Weinheimer Bevölkerung angewachsen (dieser Anteil lag sogar etwas über dem Anteil der jüdischen Bevölkerung in Baden), wurde dank ihrer besseren finanziellen Lage das alte Synagogengebäude wieder hergestellt, vergrößert und 1888 nochmals erweitert.
Abbildung 1: Blick von der Stadtmühlgasse auf die Rückseite der Häuser in der Hauptstraße; links oben sind die Fenster der Synagoge in der Hauptstraße 143 zu sehen. Um 1900.
1906 war die neue Synagoge errichtet, die alte Synagoge wurde verkauft. Eine Bäckerei zog in die alten Räume, die entsprechend umgestaltet wurden.
Die jüdische Gemeinde hatte ihren höchsten Stand um 1905 mit 192 Mitgliedern erreicht und verfügte neben der Synagoge über eine Religionsschule mit sehr engagierten Lehrern und einen Synagogenchorverein. Später kamen noch ein Krankenunterstützungs- und Sterbekassenverein, ein Jüdischer Frauenbund und ein Jüdischer Jugendbund dazu.
Eine Mikwe (das rituelle Bad) konnte bislang noch nicht gefunden werden.
Abbildung 2: Dritte Synagoge, Hauptstraße 143, heutige Ansicht.
Station G: Museum der Stadt Weinheim, Amtsgasse 2, Merian-Stich im Foyer
1666 wurde den Juden ein Platz am Wüstberg außerhalb der Stadtmauer zur Anlage eines Friedhofs bewilligt; für die Beerdigung jedes Toten musste ein Gulden Gebühr an die Stadt entrichtet werden. Der Ort wurde als „Judenbuckel” bezeichnet.
Um 1880 soll dort ein hebräischer Grabstein ausgegraben worden sein, der nicht mehr erhalten ist. Genauere Angaben über Grabstätten auf dem Judenbuckel fehlen.
Einige Zeit wurden die jüdischen Toten auf dem reformierten Friedhof der Stadt gegen Gebühr bestattet. Ein jüdischer Verbandsfriedhof wurde 1674 in Hemsbach angelegt, auf dem auch Juden aus umliegenden Gemeinden bestattet wurden.
Der Standort des Betrachters auf dem Merian-Stich ist etwa der Judenbuckel, ein Standort weit außerhalb der Stadt.
Im Museum können des Weiteren mehrere historische Dokumente zur Geschichte der jüdischen Gemeinde und das Modell der vierten Synagoge besichtigt werden.
Abbildung: Merian-Stich im Foyer des Museums der Stadt Weinheim
Station H: Hauptstraße vom Marktplatz bis Dürreplatz – jüdischer Unternehmergeist in Weinheim
Im 18. und 19. Jahrhundert lebten die Weinheimer Juden vor allem vom Kram- und Viehhandel oder waren als Metzger tätig.
Von 1821 bis ca. 1872 gab es die jüdische Gaststätte „Zum Karpfen” (Hauptstraße 27) mit Herbergsbetrieb für die Handelsjuden, die die Vieh- und Krämermärkte besuchten.
1861 eröffnete der anerkannte jüdische Gelehrte Dr. H. Plato ein Lehrerseminar für israelische Lehrer in Verbindung mit einer "Israelitischen Lehr- und Erziehungsanstalt für Knaben" und machte Weinheim so vorübergehend zu einem Zentrum orthodoxen jüdischen Lernens.
Eine große Zahl von Gewerbe- und Handelsbetrieben befand sich bis nach 1933 im Besitz jüdischer Familien, eine der bedeutendsten war die schon erwähnte Rosslederfabrik Hirsch.
Eine Mehl- und Getreidehandlung, mehrere Mode- und Textilhäuser, eine Eisenhandlung, eine Metzgerei, eine Viehhandlung, ein Warenhaus, eine Schuhhandlung, ein Schuhmacher, ein Rechtsanwalt und ein praktischer Arzt runden die Aufzählung ab.
Speziell in der Hauptstraße befanden sich:
- Nr. 112, koscherer Metzgereibetrieb Max Oppenheimer, 1938 verkauft, die Familie emigrierte in die USA, nachdem Max 1939 aus dem KZ Buchenwald entlassen wurde.
- Amtsgasse 1, Textilwarengeschäft David Benjamin; 1938 enteignet; David und Emilie wurden 1940 nach Gurs deportiert und starben dort.
- Amtsgasse 3, Herren- und Knabenbekleidung Ferdinand Stiefel; Ferdinand und Kathinka wurden 1940 nach Gurs deportiert, wo Ferdinand 1941 starb, seine Frau konnte 1942 in die USA auswandern.
- Nr. 109, Lederwaren Leopold Josef Schweiger, verzog 1938 ins Ausland, das Geschäft wurde 1941 verkauft.
- Nr. 100, Kaufhaus Geschwister Mayer, Geschäftsaufgabe 1936.
- Nr. 97, Textilwarengeschäft Heinrich Liebmann, 1938 enteignet, 1940 wurde Heinrich nach Gurs deportiert, 1944 in Auschwitz ermordet; die Kinder emigrierten in die USA.
- Nr. 96, Warenhaus Moritz Neu, 1938 verkauft, 1937 Umzug nach Mannheim.
- Nr. 94, Textil- und Sportartikelgeschäft Adolf Braun, 1936 verkauft, die Familie emigrierte 1937 in die USA.
- Nr. 89, Sattler- und Tapeziergeschäft Sigmund Brückmann, 1938 verkauft, 1940 wurde Brückmann nach Gurs deportiert und starb 1943 in Nexon.
- Nr. 79, Wohlwert- Filiale von Robert Lipsky.
- Nr. 75, Manufaktur- und Konfessionshaus Gebr. Rothschild, Geschäftsaufgabe 1938, die Eheleute Hugo und Fanny werden 1940 nach Gurs deportiert, dann Emigration in die USA, der Sohn emigriert bereits 1939 nach Kuba.
- Nr. 69, Textilwarengeschäft Josef Wetterhahn, 1938 verkauft, Josef starb 1937, seine Frau Sophie wurde 1940 nach Gurs deportiert.
- Nr. 67, Textilwarengeschäft Jakob Rothschild, 1935 verkauft, der Inhaber Maier konnte emigrieren.
- Nr. 63, Textilwarengeschäft Isaak Heil, 1938 nach dem Tod Isaaks verkauft, seine Witwe Recha wurde 1940 zusammen mit ihrer Tochter Tilli nach Gurs deportiert; Tilli wurde in Auschwitz ermordet.
- Nr. 63, Haushaltswarengeschäft Ferdinand Neu, Hedwig und Ferdinand wurden nach Gurs deportiert und 1942 in Ausschwitz ermordert.
- Nr. 47, Lederwaren-Fachgeschäft Kassel & Marx, Theodor starb 1937, seine Witwe Berta wurde ermodert. Die beiden Kindern Simon Werner und Johanna konnten emigrieren.
- Nr. 43, Mehl- und Getreidehandlung Levi Altstädter, Levi starb 1933, seine Witwe Rosa starb 1943 in Theresienstadt.
- Nr. 17, Eisenwarenhandlung Albert Eckstein, die Familie zog 1939 nach Pforzheim und wurde 1940 nach Gurs deportiert. Albert und Felice wurden 1942 in Auschwitz ermodert, ihre Tochter Lore Eckstein wurde nach Gurs deportiert und später für tot erklärt. Martin gelang die Flucht in die Schweiz.
Abbildung 1: Hauptstraße 94, ehemaliges Sport- und Bekleidungshaus Braun, um 1925.
Abbildung 2: Hauptstraße 94, ehemaliges Sport- und Bekleidungshaus Braun, heutige Ansicht.
Mit den Stolpersteinen, die man mittlerweile in über 300 Orten Deutschlands, in Österreich, Ungarn und in den Niederlanden finden kann, erinnert der Künstler Gunter Demnig an die Opfer der NS-Zeit, indem er vor ihrem letzten selbstgewählten Wohnort Gedenktafeln aus Messing ins Trottoir einlässt. Für 95 € kann jeder eine Patenschaft für die Herstellung und Verlegung eines Stolpersteines übernehmen.
"Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist". Mit den Steinen vor den Häusern wird die Erinnerung an die Menschen lebendig, die einst hier wohnten.
Abbildung: Stolperstein für Heinrich Liebmann, der nach Gurs deportiert und in Auschwitz ermordet wurde. Der Stolperstein vor dem Haus Hauptstraße 97 wurde am 11. März 2008 verlegt.
Station I: Bahnhofstraße, Denkmal für die Gefallenen des Ersten und Zweiten Weltkrieges
Als nun voll anerkannte Staatsbürger nahmen viele jüdische Soldaten am Krieg 1870/71 und am Ersten Weltkrieg teil. Zu letzterem wurden 4758 badische Juden eingezogen, von denen 589 fielen.
Hierzu gehörten auch fünf jüdische Bürger der Stadt Weinheim: David Karl, Bernhard Lehmann, Max Lehmann, Sigmund Rothschild und Moritz Rothschild.
Anfang 1935 erfolgte eine Sammlung für ein Denkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges. Die Stadtverwaltung sah „keinerlei Ursache zur Streichung der Namen der jüdischen Frontkämpfer [in der Liste]”.
Im November 1935 findet sich allerdings folgender Aktenvermerk des Bürgermeisters: „nach einer heute 10.30 Uhr erfolgten fernmündlichen Mitteilung des Herrn Kreisleiters Friedrich [sollen] die Namen gefallener jüdischer Kriegsteilnehmer nicht auf den Ehrentafeln vermerkt werden”.
Eine eindeutige Folge der im September 1935 erlassenen Nürnberger Gesetze, die den Juden alle politischen Rechte absprachen, die knapp 80 Jahre zuvor erlangte Emanzipation vollständig aushebelte und die Respektlosigkeit gegenüber den gefallenen jüdischen Soldaten demonstrierte.
Kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges beschloss der Gemeinderat die Namen der fünf gefallenen Juden doch anzubringen, wie unschwer auf der Steintafel zu erkennen ist, „damit ein damals begangenes Unrecht wieder gut gemacht wird”.
Abbildung 1: Denkmal für die Gefallenen der beiden Weltkriege
Abbildung 2: Nachträglich eingefügte Namen der jüdischen Kriegsteilnehmer
Station K: Ehret-Straße 5, Vierte Synagoge
Nach jahrelangen Planungen konnte 1906 eine neue Synagoge in der (Bürgermeister-) Ehret-Straße 5 nach Plänen des Frankfurter Architekten Max Seckbach und dank der großzügigen Finanzierung des Fabrikanten Hirsch mit einem großen Festumzug eingeweiht werden.
Die Einweihungsfeier war ein Fest für die ganze Stadt.
Nur 32 Jahre blieb die neue Synagoge Zentrum des jüdischen Lebens in der Stadt.
1933 waren 168 jüdische Personen in Weinheim, doch nach neueren Forschungen dürfte die Zahl bei rund 300 gelegen haben. Am 1. April 1933 wurde im ganzen Reichsgebiet zum Boykott der jüdischen Geschäfte aufgerufen, die jüdischen Geschäfte wurden teilweise mit gelben Kreisen an den Schaufenstern gekennzeichnet. Mit den Nürnberger Gesetzen vom 15. September 1935 wurden den Juden alle politischen Rechte abgesprochen.
Beim Novemberpogrom 1938 wurde die neue Synagoge am Vormittag des 10. November 1938 durch eine Sprengung mit 25 kg Donarit-Gelatine weitgehend zerstört. Zuvor hatten SA-Leute die Inneneinrichtung mit Äxten und Pickeln demoliert. Im April 1939 musste die jüdische Gemeinde die Synagogenruine abbrechen lassen, was sich allerdings über längere Zeit hinzog.
In den folgenden Jahren sind 114 der jüdischen Einwohner überwiegend in die USA emigriert; weitere verzogen in andere Städte.
66 jüdische Weinheimer wurden am 22. Oktober 1940 im Rahmen der Wagner-Bürckel-Aktion nach Gurs deportiert. „Camp de Gurs” war das größte französische Internierungslager, das 1939 in Südfrankreich am Fuße der Pyrenäen nahe der spanischen Grenze errichtet wurde. Achtzehn von ihnen sind in der Folgezeit in Gurs und seinen Nebenlagern bzw. schon auf dem Weg dorthin in Folge der unmenschlichen Lebensbedingungen verstorben, dreißig wurden nach dem Weitertransport in Auschwitz bzw. Buchenwald ermordet.
Eine Familie wurde 1942 nach Izbica deportiert und dort ermordet.
Nach 1945 wurde das Grundstück neu überbaut. An die Synagoge erinnert nur noch eine Gedenktafel, die allerdings nicht am Haus Ehret-Straße 5 zu finden ist, sondern zuerst 1967 am Gebäude des Grundbuchamts in der Ehret-Straße 14 und seit 1988 bei der Volkshochschule in der Luisenstraße 1/ Ecke Ehret-Straße befestigt wurde.
Abbildung 1: Außenansicht der Synagoge in der Ehretstraße 5, um 1910.
Abbildung 2: Außenansicht der zerstörten Synagoge in der Ehretstraße 5, 1938.
Abbildung 3: Gedenktafel für die Synagoge.
Weiterführende Texte:
Station L: Ehretstraße, Mahnmal für die Opfer von Gewalt, Krieg und Verfolgung
Am oberen Ende der Ehret-Straße wurde nach einem Entwurf von Hubertus von der Goltz 1999 das Mahnmal errichtet und am 9. November 1999 im Gedenken an die Reichspogromnacht eingeweiht.
Das Mahnmal dient in erster Linie der Erinnerung an die Opfer der Nationalsozialisten, ist jedoch auch allen anderen Opfern von Gewalt, Krieg und Verfolgung gewidmet. Veranstaltungen an diesem Mahnmal finden regelmäßig am 9. November statt.
Der Eingang wird von der Silhouette einer Menschengruppe gekrönt. Sie verkörpert laut der Hinweistafel die „Orientierungslosigkeit, Entwurzelung und den Versuch, die Balance in dem Moment zwischen Vergangenheit und Zukunft zu halten”.
Abbildung: Mahnmal für die Opfer von Gewalt, Krieg und Verfolgung, heutige Ansicht.
Standort M: Hemsbach, Mühlweg, Jüdischer Verbandsfriedhof
Zusätzlich kann noch der alte Jüdische Friedhof im ca. 5 km entfernten Hemsbach nach vorheriger Anmeldung bei der Stadtverwaltung Hemsbach besucht werden. Vom Wanderparkplatz aus kann man einige Blicke auf die Begräbnisstätte werfen, da der Wanderweg direkt am verschlossenen Friedhof vorbeiführt.
Es handelt sich um einen Verbandsfriedhof aus dem Jahre 1674, auf dem die Verstorbenen einiger umliegenden Gemeinden (u.a. Lützelsachsen, Schriesheim und Weinheim) beigesetzt wurden und der durch einen 1716 gegründeten Begräbnisverein unterhalten wurde. Entsprechend der jüdischen Vorschriften wurde der Friedhof außerhalb der Ansiedlung angelegt. Für den Friedhof musste jährlich zusätzlich zu den Beisetzungsgebühren „Bodenzins” entrichtet werden.
Ältere Friedhöfe finden sich kaum, da sie im Zusammenhang mit den Judenpogromen der Pestzeit (1348/49) und den Ausweisungen der Juden um 1500 aus den meisten Städten mit wenigen Ausnahmen zerstört wurden. Eine Ausnahme stellt hier der Wormser Friedhof dar.
Abbildung: Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof in Hemsbach, heutige Ansicht.
Quellenverzeichnis:
- Stadtarchiv Weinheim, Auszüge aus Bauakten, Feuerversicherungsunterlagen, Güterverzeichnissen und Grundbüchern; historische Aufnahmen
- Herpel, Hans Peter, Weinheims historische Gastwirtschaften, Weinheim, 1990 (Weinheimer Geschichtsblatt 36)
- Stadt Weinheim (Hrsg.) Die Stadt Weinheim zwischen 1933 und 1945 / Weinheim, 2000 (Weinheimer Geschichtsblatt 38)
- Synagogen in Baden-Württemberg, Band 1: Geschichte und Architektur, Joachim Hahn und Jürgen Krüger. Herausgegeben von Rüdiger Schmidt, Badische Landesbibliothek, Karlsruhe und Meier Schwarz, Synagogue Memorial, Jerusalem, Stuttgart, 2007
- Wolffsohn, Michael, Puschner, Uwe, Geschichte der Juden in Deutschland, Quellen und Kontroversen, München, 1992
- www.alemannia-judaica.de (Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum
- www.hemsbach.de
- www.uni-heidelberg.de/institute/sonst/aj/FRIEDHOF/ (Zentralarchiv)
- www.stolpersteine.com
- Text und Layout: Angelika U. Hörner, PH Karlsruhe – Fakultät Geschichte, 2008
Bilder: Michael Herzog, PH Karlsruhe – Fakultät Geschichte, 2008, und Stadtarchiv Weinheim