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Jüdischer Unternehmergeist in Weinheim

Bei einem Bummel über die Hauptstraße begegnete man ihm in kurzen Abständen

An der Hauptstraße zwischen Marktplatz und Dürreplatz warben zu Beginn des "Dritten Reichs" etwa 20 jüdische Geschäfte um Kunden. Sie hatten die Vorteile moderner Verkaufsförderung früh erkannt und nutzten sie in beiden lokalen Tageszeitungen, allen voran das Kaufhaus Gebrüder Rothschild , das in großem Stil inserierte und nach Renovierung der Räume im Oktober 1926 eine Modenschau mit 1000 Zuschauern veranstaltete. Ein Werbespruch des Kaufhauses Rothschild lautete: "Sogar auf dem hohen Mars dort oben, Gebrüder Rothschilds Ware loben!".

Jüdischer Unternehmergeist ließ sich 1933 auch in statistischen Werten ausdrücken: In Weinheim waren damals 82,5 % der jüdischen Erwerbstätigen selbständig, mehr als im Reichsdurchschnitt (55,6 %) und mehr als unter allen Weinheimer Erwerbspersonen (26,4%). 72,9 % der jüdischen Erwerbstätigen waren in Handel und Verkehr beschäftigt, 18,8 % in Industrie und Handwerk. (Ingeborg Wiemann-Stöhr: "Die Stadt Weinheim 1925 bis 1933", Weinheimer Geschichtsblatt 1991).

Nach dem 22. Oktober 1940 galten diese Zahlen nicht mehr. Das ist auch der Grund dafür, an die jüdischen Geschäfte in der Innenstadt und an das Schickssal ihrer Inhaber zu erinnern.

Im Kaufhaus Benjamin, Amtsgasse1, kaufte man Kurz-, Woll- und Weißwaren, Korbwaren aber auch Papier und Schreibwaren ein. David und Emilie Benjamin starben 1940 im Lager Gurs.

Nebenan im Hause Amtsgasse 3, hielt Ferdinand Stiefel Herren- und Knabenbekleidung bereit. Ferdinand und Kathinka Stiefel wurden 1940 nach Gurs deportiert, Stiefel starb dort 1941, seine Frau konnte 1942 nach USA auswandern.

Auf der Westseite der Hauptstraße und als Nachbar des "Grünen Baum" arbeitete Metzgermeister Max Oppenheimer. Er wurde eines der ersten Opfer der 1938 eingeführten "Vorbeugehaft", die meist mit der Einweisung in ein Konzentrationslager endete. 1939, nach der Entlassung aus Buchenwald, emigrierte Oppenheimer.

Im benachbarten Etagengeschäft von Salomon Friedhaber (heute Burgen-Passage) gab es Mäntel, Kleider, Anzüge und Austeuerartikel. Friedhaber und seine Frau Hedwig wanderten 1936 nach Kolumbien aus und übersiedelten später nach Israel.

Als "größtes Schuhgeschäft an der Bergstraße" warb Leo Schloß für sein Schuh-Haus Hirsch. Schloß kam 1940 nach Gurs, 1945 nach Auschwitz und Buchenwald. Dort ist er umgekommen.

Das Kaufhaus Geschwister Mayer (heute Drogeriemarkt Müller) war mit einem breiten Sortiment ein Anziehungsmittelpunkt in der Hauptstraße.

Als Fachgeschäft für Konfektion, Stoffe und Wäsche ist das Modehaus Bergen (heute Tchibo) in Erinnerung Siegfried und Betty Bergen wanderten 1934 nach Uruguay aus.

Adolf Braun warb als "Erstes und größtes Spezialhaus für Herren-, Knabenbekleidung und Sportartikel" und war der führende Ausstatter der Weinheimer Turn- und Sportvereine. Adolf Braun emigrierte 1937 mit seiner Frau Frieda und den beiden Söhnen nach USA. Alfred und Ernst Braun regten 1975 das erste Weinheimer-Treffen ehemaliger jüdischer Bürger/innen an.

Gurs und Auschwitz waren auch für Salomon Marx und seine Frau Therese Marx die letzten Lebensstationen. Sie betrieben in der unteren Hauptstraße eine Möbelhandlung.

Reich war auch auf der östlichen Seite der Hauptstraße die Zahl jüdischer Geschäfte. Schon 1934 veranlasste dies das "Hakenkreuzbanner" zu der bissigen Bemerkung: "Die Geschäftslagen der Hauptstraße sind vom Marktplatz bis zum Rodensteiner überwiegend von Juden besetzt". Einer der jüdischen Kaufleute war Leopold Schweiger. Er war im Eckhaus Hauptstraße/Judengasse für seine Schuhe und andere Lederwaren. Schweiger emigrierte 1938 nach Jugoslawien.

In Heinrich Liebmanns Kaufhaus gab es fast alles an Textilien, vor allem eine große Auswahl an Kleiderstoffen. Liebmann wurde 1940 nach Gurs transportiert, 1944 nach Auschwitz transportiert und 1945 für tot erklärt.

Sigmund Brückmann war Tapezier- und Polstermeister und aus dem Handwerk hatte er im Hause Hauptstraße 89 ein Fachgeschäft für Wohnungssausstattung gemacht, das sein Schwiegersohn Siegfried Heinemann, Sattler- und Tapeziermeister, übernahm. Sigmund Brückmann erlag 1943 den Torturen von vier Lagerwechseln in Frankreich, seine Kinder waren bereits 1933 nach Italien ausgewandert.

"Tausende Artikel des täglichen Bedarfs" gab es in der Wohlwert-Filiale von Robert Lipsky. Die Weinheimer nannten das Einheitspreisgeschäft Wulle-Wulle.

Eines der großen Kaufhäuser war Gebrüder Rothschild. Hugo Rothschild führte das "Große Kaufhaus für alle". Er wanderte 1939 nach USA aus.

Hüte, Mützen, Schirme, Stöcke und Herrenwäsche führte Josef Wetterhahn. Während Josef Wetterhahn 1937 verstarb, wurde seine Frau Sofie nach Gurs deportiert.

Das Textilkaufhaus Jakob Rothschild befand sich nebenan. 1935 schrieb das "Hakenkreuzbanner": "Wieder einer weniger. Sicherem Vernehmen nach wird der Jude Maier, Inhaber der Firma Jakob Rothschild, demnächst über den Ozean auswandern".

In den heutigen Räumen der Commerzbank boten das Bekleidungshaus Isaak Heil und das Haushaltswarengeschäft von Ferdinand Neu ihre Waren an. Heil starb 1938, seine Frau Recha 1940 im Lager Gurs. Ferdinand und Hedwig Neu kamen 1940 nach Gurs, 1942 nach Auschwitz.

Das Lederwaren-Fachgeschäft Kassel & Marx ware Einkaufsziel im Bereich des späteren Modehaus Volk, Theodor Kassels Grab liegt auf dem Hemsbacher jüdischen Friedhof.

Nachbar von Kassel & Marx war der Mehl- und Getreidehändler Levi Altstädter. Er starb bereits 1933, seine Frau Rosa wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert.

Eine Eisenhandlung, in der es zu Weihnachten Rodelschlitten gab, führt Albert Eckstein am heutigen Rodensteinerbrunnen. Albert und Felicitas Eckstein kamen 1940 nach Gurs und 1942 nach Auschwitz.

Heinz Keller, veröffentlicht am 09.11.2000 in den Weinheimer Nachrichten.

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