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Zwei Urkunden erinnern an Weinheims jüdische Gemeinde

Sie wurden vor 100 Jahren von Marx Maier geschrieben und in den Grundstein für den Neubau der Synagoge eingelassen

Es gibt, neben zwei Fotografien, nur zwei Erinnerungen an die israelitische Gemeinde Weinheim und ihre Synagoge: die Urkunde zur Grundsteinlegung für den Neubau des Gotteshauses an der Ehretstraße und ein Verzeichnis der damaligen Mitglieder der israelitischen Gemeinde, das ebenfalls in den Grundstein eingefügt wurde. Wie die beiden Urkunden den 11. November 1938 und die Zerstörung der Synagoge durch die Nationalsozialisten überstanden haben, weiß heute niemand mehr. Beide Urkunden gehören zum so genannten Altbestand des Stadtarchivs und tragen keinerlei Hinweise, wie sie in die städtische Dokumentensammlung gekommen sind.

Sollte jemand mehr über den Weg der Urkunden aus dem Grundstein ins Stadtarchiv wissen, dann könnte er dazu beitragen, eines der großen Geheimnisse der Stadtgeschichte zu lüften.

Bedeutend: Marx Maier

Im Museum ist die Urkunde zur Grundsteinlegung zu sehen, im Stadtarchiv wird das Verzeichnis der Mitglieder der israelitischen Gemeinde verwahrt. Beide Urkunden wurden von Marx Maier (1875-1932) geschrieben. Er war Hauptlehrer an der Pestalozzischule und hat die naturwissenschaftliche Sammlung der Weinheimer Volksschule eingerichtet. Marx Maier war außerdem Kantor an der Synagoge und Dirigent des Synagogenchorvereins, er erteilte jüdischen Religionsunterricht und wirkte als Schriftführer im Israelitischen Frauenverein/Israelitischen Krankenunterstützungs- und Sterbekassenverein. Vor allem aber ist Marx Maier in die Stadtgeschichte eingegangen als Gründer des Kammermusikvereins Weinheim. Zum 40. Gründungstag schrieb 1958 der Mannheimer Morgen: "Keiner Konzertagentur wäre es gelungen, was dem musikbegeisterten Lehrer Marx Maier gelang, nämlich die Stadt Weinheim in den Kreisen der besten Interpreten klassischer Musik zu einem Begriff zu machen".

Der Weg zum Neubau

Der Grundstein für die neue Synagoge wurde am 14. August 1905 gelegt, "im 17. Regierungsjahre Sr. Majestät Kaiser Wilhelm II. und im 53. Regierungsjahre unseres geliebten Landesfürsten Sr. Königl. Hoheit des Großherzogs Friedrich von Baden", wie es im Vorspann der Urkunde heißt. Marx Maier begründete in ihr die Notwendigkeit des Neubaues und skizzierte den Entscheidungsweg bis zum 1. Spatenstich, den am 7. Juli 1905, dem 5. Tag des Monats Thamus, die ältesten Mitglieder der israelitischen Gemeinde vollzogen.Die ungenügenden Platzverhältnisse und die hohe Feuersgefahr in der bis dahin genutzten Synagoge an der hinteren Hauptstraße (beim heutigen Hutplatz) verlangten - so Maiers Urkundentext - seit langem nach einem Neubau. 1904 konnte an der Ehretstraße ein Bauplatz erworben werden "fast im Mittelpunkt der Stadt und doch außerhalb jedes störenden Verkehrs". Der Synagogenrat mit Wolf Lehmann, Berthold Kaufmann und Ferdinand Rothschild bildete eine Baukommission, in der Sigmund Hirsch, Dr. Moritz Pfälzer und Isaak Heil, drei herausragende Weinheimer Juden, die Aufgaben rund um das größte Bauprojekt in der Geschichte der israelitischen Gemeinde begleiteten.

Ein Festtag für ganz Weinheim.

Mit der Ausarbeitung der Pläne für die neue Weinheimer Synagoge wurde der jüdische Architekt Max Seckbach (Frankfurt) beauftragt. Die Baukosten wurden mit 41500 Mark kalkuliert. Die Finanzierung erfolgte überwiegend aus Spenden, Sammlungsüberschüssen und dem Erlös aus dem Verkauf des alten Synagogengebäudes, der kleinere Rest wurde "mit bereitwilligster Genehmigung des Großherzoglichen Oberrats der Israeliten, des Ministeriums und des Großherzoglichen Bezirksamtes" (Urkundentext)kreditfinanziert. Die Erd- und Maurerarbeiten wurden dem Weinheimer Bauunternehmer Friedrich Reiboldt übertragen. Die neue Weinheimer Synagoge wurde, nach einem Abschlussgottesdienst im alten Gotteshaus und einem Festzug vom Stadtgarten herunter, am 2. August 1906 eingeweiht. Es war ein Festtag für ganz Weinheim. Das Verzeichnis der Mitglieder der israelitischen Gemeinde Weinheim im Jahre 1905, dem jüdischen Jahr 5665, enthält, streng voneinander getrennt, die Namen von 46 männlichen und 49 weiblichen Mitgliedern und den Hinweis auf ihre 39 Töchter und 50 Söhne. Die Liste wird angeführt von den Fruchthändlern Altstädter und enthält danach die Namen vieler jüdischer Mitbürger, die die Weinheimer Gesellschaft mitgeprägt und sich um Weinheim verdient gemacht haben: der Unternehmer Sigmund, Max und Julius Hirsch, die den Synagogenbau großzügig unterstützten, von Rechtsanwalt Dr. Moritz Pfälzer, lange Jahre Vorsitzender der israelitischen Gemeinde Weinheim und des Oberrates in Baden, des populären Arztes Dr. Hermann Hausmann, der Kaufleute David Benjamin, Isaak Heil, Heinrich Liebmann, Louis Neu, Ferdinand und Wolf Rothschild, der Handwerker Samuel Simon, Max David, Samuel Oppenheimer und Sigmund Brückmann, natürlich auch von Marx Maier.

Spät auf die Ehrentafel

Mit zur israelitischen Gemeinde, die Teil und Bereicherung der Weinheimer Gesellschaft war, gehörten Karl David, Bernhard und Max Lehmann, Sigmund und Moritz Rothschild, die ein Jahrzehnt nach der Weihe der Synagoge im Ersten Weltkrieg für Deutschland ihr Leben ließen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurden ihre Namen in den Ehrentafeln der Kriegstoten aufgenommen.

Verfasser: Heinz Keller,

veröffentlicht in: "Weinheimer Nachrichten" vom 17.12.2005

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