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Der Ausschluss der jüdischen Mitglieder

Zeitgeschichte: Die TSG 1862 Weinheim stellt sich einem dunklen Punkt in ihrer Geschichte / "Stuttgarter Beschlüsse" von 1933

Auch fast 80 Jahre danach tun sich die Vereine schwer mit der Aufarbeitung ihres Verhältnisses zu den jüdischen Mitgliedern während der nationalsozialistischen Zeit. In Weinheim hat die TSG 1862 in ihrem Jubiläumsjahr den Anfang gemacht: Sie hat das Geschehen und die Hintergründe des Ausschlusses von elf Mitgliedern jüdischen Glaubens aus dem damaligen Turnverein 1862 im neuen "TSG-Lexikon", ihrer etwas anderen Jubiläumsschrift, und in der Mitgliederzeitschrift "TSG-Journal" dokumentiert. Es bleibt allerdings offen, ob es auch in der Turngenossenschaft "Jahn 1878", dem zweiten Gründerverein der heutigen TSG 1862, jüdische Mitglieder gab: die Protokollbücher der TG "Jahn" ab 1922 sind verschollen.

Am 12. Mai 1933 traf der Vorstand des Turnvereins 1862 Weinheim eine Entscheidung, die einen dunklen Schatten geworfen hat auf die Geschichte des Vereins, der in der jüngeren Vergangenheit mehrfach ausgezeichnet wurde für seine vorbildlichen Beiträge zur Integration ausländischer und behinderter Kinder und Jugendlicher.

Am 12. Mai 1933 wurden elf, zum Teil langjährige Mitglieder aus dem Verein ausgeschlossen, weil sie Juden waren, richtiger gesagt: Deutsche jüdischen Glaubens: David Benjamin, Adolf Braun, Julius Hirsch, Max Hirsch, Ruth Maier, Dr. Moritz Pfälzer, Dr. Friedrich Reiss, Leopold Schloss, Herbert Stiefel, Josef Wetterhahn. Der Vereinsausschluss wurde mit den "Stuttgarter Beschlüssen" der Deutschen Turnerschaft (DT) vom 8./9. April 1933 begründet und folgte unwidersprochen den "Anweisungen der Deutschen Turnerschaft zum richtigen Gebrauch der Stuttgarter Beschlüsse". Sie waren kurz nach der folgenschweren Sitzung des Hauptausschusses der Deutschen Turnerschaft gedruckt und an die deutschen Turnvereine zum Aushang und zur Umsetzung verschickt worden, ohne die Zustimmung des höchsten Beschlussorgans, des Deutschen Turntags, abzuwarten.

Der DT-Hauptausschuss, der den Status eines geschäftsführenden Vorstandes hatte, beschloss in Stuttgart einstimmig, neben ehemaligen Marxisen die jüdischen Mitglieder aus seinen Vereinen zu entfernen. Das Gremium forderte vom Deutschen Turntag, "den Arierparagraphen in die Satzung der DT aufzunehmen" und zwar in seiner strengsten Form, "wonach es genügt, dass ein Teil der Großeltern jüdischen Blutes ist".

Eile geboten

Eile sei geboten, stellte der gerade zum Vorsitzenden der Deutschen Turnerschaft aufgestiegene Dr. Edmund Neuendorff in einem Aufruf fest, "damit es zur Zeit des Deutschen Turnfestes in Stuttgart keine jüdischen Turner mehr unter uns gibt". Neuendorff wollte Hitler in Stuttgart (26. bis 31. Juli 1933) als Gast und Redner haben. Deshalb der Stuttgarter Beschluss: "Der Hauptausschuss bittet den allverehrten Reichspräsidenten und Feldherrn des Großen Krieges, von Hindenburg, und den Schöpfer und Führer der nationalen Freiheitsbewegung, den Reichskanzler Adolf Hitler, die Schirmherrschaft über das Deutsche Turnfest in Stuttgart zu übernehmen". Deshalb auch Neuendorffs Forderung in der Mai-Ausgabe der "Deutschen Turnzeitung": "Die Vollarisierung ist spätestens bis zum Deutschen Turnfest vollkommen durchzuführen". Deshalb schon am 16. Mai die eilfertige Meldung an Hitler: "Die verhältnismäßig, wenigen Marxisten und Juden, die sich in der Turnerschaft befanden, haben sie verlassen müssen" (Aus: "Schattenblick§. DOSB-Presse, 2008).

Einen Tag später, am 17. Mai 1933 wurde die Ausnahmeregelung zurückgenommen, nach der "jüdische Turner, die am Weltkrieg als Frontkämpfer teilgenommen haben, in allen Ehren in der Turnerschaft bleiben" konnten. Da hatte der Vorstand des Turnvereins 1862 Weinheim in einer Art vorauseilender Gehorsam bereits den Ausschluss der Kriegsteilnehmer David Benjamin, Adolf Braun und Dr. Moritz Pfälzer beschlossen.

Bei einer Stolperstein-Verlegung in Mainz sagte der Präsident des Deutschen Turner-Bundes, Rainer Brechtkern, 2007: "Als Präsident des Deutschen Turner-Bundes begüße ich diese aktive Form der Auseinandersetzung mit dem dunkelsten Kapitel unserer Geschichte auch in den Turn- und Sportvereinen" und fuhr fort: "Der Deutsche Turner-Bund hat sich in den letzten Jahren mit der Geschichte der Deutschen Turnerschaft offensiv auseinandergesetzt und erinnert seit 1986 mit der Verleihung der Flatow-Medaile bei Deutschen Turnfesten regelmäßig und stellvertretend an die jüdischen Turner Alfred und Gustav Flatow, die als Juden gezwungen wurden, ihre Mitgliedschaft in der Berliner Turnerschaft aufzugeben und die beide in Konzentrationslagern eines gewaltsamen Todes gestorben sind".

Von den ehemaligen TV-Mitgliedern starben: David Benjamin 1940 im Lager Gurs. Leopold Schloss 1942 in Buchenwald.

Jüdische Mitglieder der TSG Weinheim im Jahre 1933

===David Benjamin=== war Textilkaufmann und hatte ein Kaufhaus an der Ecke Hauptstraße/Amtsgasse, er war Synagogenrat und nach der Sprengung der Synagoge der letzte Repräsentant der Weinheimer Juden.

===Adolf Braun=== war Besitzer eines Fachgeschäfts für Herren- und Knabenbekleidung, Sportbekleidung und Sportgeräte (heute Ernestings Family). Er stattete alle Weinheimer Turn- und Sportvereine aus.

===Ernst Braun=== war sein Sohn. 1945 besuchte er als Capitain der US-Army seine Heimatstadt. 1979 war er einer der Initiatoren des Heimattreffens ehemaliger jüdischer Mitbürger in Weinheim.

===Max Hirsch und Julius Hirsch=== waren die Söhne von [P1154 :Sigmund Hirsch], des Gründers der Lederwerke Hirsch. Sie waren in der Kommunalpolitik und in den Weinheimer Vereinen stark verwurzelt. Beide gingen am Jahresende 1938 mit ihren Familien in die Emigration.

===Ruth Maier=== war die Tochter von Marx Maier, Kantor der jüdischen Gemeinde und Gründer des Kammermusikvereins Weinheim. Ruth Maier emigrierte 1937 nach Holland.

===Dr. Moritz Pfälzer=== war Rechtsanwalt, liberalter Kommunalpolitiker, Mitglied des Oberrats der badischen Juden.

===Dr. Friedrich Reiss=== war Arzt und Schwiegersohn des populären Hausarztes Dr. Hausmann, mit Praxis im Haus der heutigen Geiß'schen Apotheke an der Bahnhofstraße.

=== Leopold Schloss=== war Besitzer des Schuhhauses Hirsch an der Hauptstraße (heue pro-optik).

===Herbert Stiefel=== war gehörlos, wurde Schneider und nach der Emigration Prominentenschneider am Broadway.

===Josef Wetterhahn=== führte ein Fachgeschäft für Hüte, Mützen, Stöcke und Schirme an der Hauptstraße (heute Gerry Weber).

Heinz Keller, veröffentlicht in den Weinheimer Nachrichten vom 12.05.2012.

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