Marx Altstädter: Der erste jüdische Kommunalpolitiker
Er entstammte einer der ältesten jüdischen Familien und war Mitglied im Bürgerausschuss – vor den Hirschs und Sally Neu
Eine der ältesten jüdischen Familien in Weinheim waren die Altstädter. Professor Josef Fresin hat sich mit ihrer Geschichte eingehend beschäftigt, auch wenn das gar nicht so einfach war. Denn ursprünglich trugen die Juden biblische Namen (Abraham, Jakob, Moses, Salomon) oder die Namen von Tieren (Bär, Löwe, Hirsch, Wolf), die sie nicht auf die Kinder vererbten. Das macht bis heute die Erforschung israelitischer Familiengeschichte vor dem 19. Jahrhundert schwierig.
Mit der Verpflichtung auf feste Familiennamen wurde es einfacher für die Familienforscher: Ab 1. Juli 1809 mussten alle Juden im Großherzogtum Baden erbliche Familiennamen tragen. Oft wählte man sie – so der Hockenheimer Heimatforscher Ernst Brauch – nach dem Ort der Herkunft, des Aufenthalts oder nach der Art des Broterwerbs. Daraus wird verständlich, dass es fortan Juden mit deutschen Städtenamen gab: in Karlsruhe etwa die Weinheimer, in Reilingen die Reilinger. Auf Weinheim geht nach Ansicht von Fresin auch der in Ost und West weit verbreitete Familienname Altstädter zurück. Die meisten Weinheimer Altstädter lebten im Kirchenbezirk der Altstadtgemeinde.
Nach den Untersuchungen des Heimatforschers übernahm Mordge Hohne 1809 mit der Einführung des neuen Namensrechtes den Familiennamen Altstädter. Zwei Jahre später starb der erste Träger des Namens Altstädter. Mordge Hohne hatte zwei Brüder: Moses Hohne, dessen Witwe 1809 den Namen Ullmann annahm, und Abraham Hohne, dessen Witwe sich auf großherzoglichen Gesetzesdruck ab 1809 Katz nannte. Vater der drei Brüder war Hohne Anschel. Er trug den Namen Hohne als Vornamen, wie es üblich war: den Vornamen des Vaters erhielten die Kinder als Zunamen. Hohne Anschel ist 1762 in einem Ratsprotokoll erwähnt. Sein Vater führte allerdings allein den Vornamen Anschel, ohne Zunamen, lebte 1717 in Weinheim und ist in einem Verzeichnis der Weinheimer Juden für die Zeit von 1700 bis 1809 genannt.
Der Schutzjude Anschel ist also der bis heute bekannte Stammvater der Familie Altstädter, deren Geschichte dennoch nicht eindeutig verfolgt werden kann. Claudia Fischer berichtet im Weinheimer Geschichtsblatt 2000, dass Mordge Hohne/Altstädter zwei Söhne hatte: Hohne, der sich später Heinrich nannte, und Jakob. In der Liste der jüdischen Bürger, die zwischen 1848 und 1853 Steuern zahlten, und in der Zusammenstellung der bei der Neuwahl des Synagogenrates 1853 Wahlberechtigten sind Jakob und Heinrich Altstädter aufgeführt, Heinrich allerdings zweimal als Heinrich I. und Heinrich II.
Im Stadtarchiv beginnt die Familiengeschichte Altstädter mit einem Elchanan Altstädter, dessen Lebensdaten ebenso unbekannt sind wie der Name seiner Frau. Erst mit den Kindern wird vieles klarer in der Familiengeschichte Altstädter. Elchanan und seine Frau hatten drei Söhne: Lazarus, Marx und Jakob.
Von Jakob Altstädter ist im Stadtarchiv zunächst nicht mehr zu finden als der Hinweis, dass er 1853 an der Neuwahl des Synagogenrates teilnahm. Auf Vermittlung von Lilly Pfrang überließ uns Hans Altstädter, Enkel von Marx und Großneffe von Lazarus und Jakob Altstädter, 1988 familiengeschichtliche Daten. Daraus ist auch zu ersehen, dass die drei Brüder 1856 die Firma Gebrüder Altstädter ins Handelsregister eintragen ließen. Die Firma handelte mit Landesprodukten und hatte ihren Sitz an der Heidelberger Straße, der heutigen Bergstraße, im Bereich der Einmündung des Suezkanalwegs. 1890 trennten sich die Brüder Marx, Lazarus und Jakob Altstädter. Alleiniger Firmeninhaber wurde Nathan Altstädter, der Sohn von Marx.
Über Lazarus und Marx Altstädter ist etwas mehr bekannt. Der 1828 in Weinheim geborene und 1903 auf dem Hemsbacher Verbandsfriedhof bestattete Marx (Mordechai) Altstädter wurde 1865 in den Synagogenrat gewählt und war bis 1872 einer der beiden für die gesamte Verwaltung der israelitischen Gemeinde Weinheim zuständigen Räte. Über die Glau-bensgemeinschaft hinaus hat sich Marx Altstädter aber auch für seine Heimatstadt Weinheim engagiert. 1878 wurde er durch die Klasse der Niederstbesteuerten – die Höchst- und Mittelbesteuerten wählten am gleichen Wahltag ihre eigenen Vertreter - für eine sechsjährige Amtszeit in den damals 58 Mitglieder umfassenden Bürgerausschuss gewählt, die wichtigste Bürgervertretung im Rathaus.
Marx Altstädter war damit der erste jüdische Kommunalpolitiker Weinheims. Er wohnte mit seiner Frau Fanny, geborene Vögele, 1836 in Weinheim geboren und 1899 in Hemsbach bestattet, und dem 1868 in Weinheim geborenen Sohn Nathan als Nachbar des Gasthauses „Zum Badischen Hof” an der mittleren Hauptstraße. Das Haus besteht nicht mehr.
Der jüngere Bruder Lazarus (Elieser) ist 1833 in Weinheim geboren und 1922 gestorben. Auch er ist, wie seine 1840 geborene und 1904 verstorbene Frau Fanni (Fradche), geborene Löwensberg, in Hemsbach beerdigt worden.
Lazarus und Fanni Altstädter wohnten in der Luisenstraße und hatten drei Töchter: Frieda, Julie und Gertrude. Frieda wurde 99 Jahre alt und starb 1964 bei ihrem Sohn Karl in Buenos Aires, Julie wurde 95 Jahre alt und starb 1962 bei ihrer Tochter in Sydney. Gertrude Altstädter, 1869 geboren, wurde nur 28 Jahre alt.
Über das lange Leben von Frieda und Julie Altstädter berichten wir in einem weiteren Beitrag. Aus einem Briefwechsel, den Carlos Levi Altstädter, Friedas Sohn Karl, 1963 mit Oberbürgermeister Rolf Engelbrecht führte, sind die Gefahren bekannt, denen Frieda Altstädter bis zu ihrer Auswanderung nach Argentinien ausgesetzt war, und über den informationsreichen Kontakt zwischen Julies Enkel Gerrard Salomon und Stadtarchiv-Mitarbeiterin Sybille Rummert ist im September 2006 die Ahnentafel der Nachkommen von Lazarus Altstädter nach Weinheim gekommen.
Heinz Keller, erschienen in den "Weinheimer Nachrichten" vom 27.11.2006