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Gedankliche Brücke nach Gurs und Izbica

Das Stolperstein-Projekt von Gunter Demnig erfährt heute auch in Weinheim seine Fortsetzung

Wenn der Künstler Gunter Demnig heute die nächsten Stolpersteine im Stadtgebiet Weinheim verlegt, dann ist es auch eine Verneigung vor den Opfern. Mit den Stolpersteinen - bislang hat Demnig mehr als 9000 Steine in ganz Deutschland und dem angrenzenden Ausland verlegt - wird an die Menschen erinnert, die im Dritten Reich den Rassenwahn der Nationalsozialisten nicht überlebten.

Erstmals werden heute in Lützelsachsen solche Steine in den Boden eingelassen (wir haben berichtet), genauer in der Wintergasse, wo Beni Benjamin, Max Benjamin und Cilly Vollweiler gedacht wird.

Sie alle wurden 1940 in das Lager Gurs in Südfrankreich deportiert, Beni und Max Benjamin starben dort kurze Zeit später, Cilly Vollweiler wurde vermutlich 1942 in das Vernichtungslager Auschwitz verschleppt. Die Steine werden dort ab 13 Uhr gesetzt, danach wird die Aktion in Weinheim fortgesetzt.

Hier geht es gegen 13.30 Uhr zunächst in die Hauptstraße 17, wo unter anderem die Familie Auerbacher lebte; die Eltern Arthur und Johanna Auerbacher und ihre beiden Söhne Berthold Julius sowie Herbert. Letzterer war gerade mal elf Jahre alt, als die Familie 1942 nach Izbica in Polen deportiert wurde. Die Ortschaft liegt nahe der Stadt Lublin und geriet 1939 nach dem Einmarsch der Wehrmacht unter deutsche Herrschaft. Bis 1944 war dieser Teil des Landes ein Distrikt des so genannten General-Gouvernements. Izbica selbst hatte seine Wurzeln im 18. Jahrhundert, als jüdische Siedler die Ortschaft gründeten. Daher waren auch die meisten Einwohner jüdischen Glaubens, 1930 machten sie rund 85 Prozent der 6000 Bürger aus. Für die Besatzer war dies der Grund, aus der kompletten Stadt ein Ghetto zu machen, später wurde Izbica auch als das "Ghetto ohne Mauern" bezeichnet. Zunächst wurden Juden aus ganz Polen in das Städtchen nahe Lublin eingeweisen, doch dann kam das Frühjahr und der Sommer 1942. Zusätzliche Deportationszüge mit Juden aus Deutschland, Österreich und dem Ghetto Theresienstadt wurden nach Izbica geleitet, unter ihnen auch die Familie Auerbacher aus Weinheim. Längst war die Ortschaft überfüllt, die Lebensbedingungen, vor allem auch die hygienischen Zustände, verschlechterten sich dramatisch.

Von den Machthabern war dies durchaus beabsichtigt, denn längst war klar, dass Izbica nur ein Zufluchtsort auf Zeit sein soll. Die Planung war auf Vernichtung ausgerichtet, alle Juden aus dem Distrikt Lublin - auch die dorthin Deportierten - sollten in den Vernichtungslagern Sobibór und Belzec ermordet werden. Bereits im März 1942 gingen Transporte mit Juden in die Vernichtungslager, bis zum April 1943 rollten die Züge nach Sobibór im Südosten

Polens, wo zwischen Mai 1942 bis Sommer 1943 etwa 250000 Menschen ermordet wurden. Das Vernichtungslager Belzec lag im südöstlichen Teil des Bezirkes Lublin, mehr als 600000 Menschen mussten dort sterben. Vermutlich gehörte zu ihnen auch die Familie Auerbacher, denn nach ihrer Ankunft in Izbica ist nichts mehr von ihnen bekannt. Fest steht nur, dass bis auf sehr wenige Ausnahmen alle betroffenen Männer, Frauen und Kinder die Vernichtungslager nicht überlebten. In dem Haus Hauptstraße 17, das heute mit großem Aufwand saniert wird, wohnten auch Emma Lehmann, geb. Götter, und Friederike Oppenheimer, geborene Lehmann. Beide wurden 1940 nach Gurs deportiert; Emma Lehmann starb in dem Lager am Fuße der Pyrenäen, Friederike Oppenheimer wurde 1942 nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet. Vor dem Haus in der Hauptstraße 28 werden heute außerdem noch vier Steine verlegt, sie erinnern an Max und Hannchen Neu sowie Heinrich und Clementine Weil; sie alle wurden nach Gurs deportiert; überlebt haben sie ihren Leidensweg nicht.

Beendet wird die Aktion im Mühlweg, wo sich die Blicke auf den Namen Karl-Heinz Klausmann richten werden.

Er steht für eine tragische Geschichte, wie Erika Heuser erzählt, die zusammen mit Hermann Freudenberg zu den Initiatoren des Stolperstein-Projekts gehört. Klausmann wuchs bei Pflegeeltern auf, erst bei Antritt einer Lehre im Alter von 20 Jahren wurde bemerkt, dass er jüdischer Abstammung ist. Er erhielt einen Ausweis als so genannter "Volljude" - eigentlich sein Todesurteil. Klausmann aber floh, ging nach Frankreich und schloss sich dort dem Widerstand an. Er fiel im Jahre 1945.

Sandro Furlan, erschienen in den "Weinheimer Nachrichten" vom 04.05.2007

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