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Erst vor Hitler, dann vor Franco geflüchtet

Frieda und Julie Altstädter: zwei Weinheimer Mädchen, die erst in den USA und in Argentinien Ruhe fanden und alt werden durften

Als Frieda Altstädter, älteste der drei Töchter des Früchtehändlers Lazarus Altstädter (1833-1922), ihrem Mann Julius Levi 1896 nach Limburg folgte, war auch in Weinheim die Welt für die jüdischen Einwohner (noch) in Ordnung. Die israelitische Gemeinde feierte ihre Gottesdienste zwar noch immer in der alten, längst zu klein und baufällig gewordenen Synagoge am heutigen Hutplatz, doch das stetige Wachstum der Gemeinde hatte bereits Überlegungen angestoßen, ein neues, würdiges Gotteshaus zu errichten. Frieda Altstädters Abschied aus Weinheim fiel in die Zeit, da sich die israelitische Gemeinde klar darüber war, dass eine neue Synagoge gebaut werden musste. Als sie dann am 2. August 1906 an der Bürgermeister-Ehret-Straße feierlich geweiht wurde, hatte sich Frieda Levi Altstädter an der Lahn längst eingelebt und zwei Buben das Leben geschenkt. Der Tod von Mutter Fanni (1840-1904) trübte zwar die ferne Freude über die neue Synagoge in der Heimatstadt, aber 1905 war Vater Lazarus (1833-1922) nach Limburg umgezogen und konnte nun die Entwicklung seiner Enkel Hans und Karl aus nächster Nähe miterleben.

Nach ihrer Berufsausbildung wanderten Hans und Karl Levi Altstädter aus: Hans nach Barcelona, Karl nach Buenos Aires. Ihre Eltern wussten nach den nationalsozialis-tischen Maßnahmen und Gesetzen des Jahres 1933, dass ihre Zukunft nicht in Deutschland liegen konnte. Deshalb emigrierten Frieda und Julius Levi Altstädter 1934 nach Spanien und fanden Aufnahme bei ihrem Sohn Hans, der sich nun Juan nannte. Bis Juli 1936 lebten sie in Barcelona und warteten auf ein Ausreisevisum für Argentinien, wo ihr Sohn Karl lebte, der sich nun Carlos nannte.

Mit Francos militärischen Erfolgen im Bürgerkrieg und mit dem Einfluss der ihn unterstützenden faschistischen Achsenmächte wuchs der Druck auf die in Spanien lebenden deutschen Juden. Vor ihm wichen die Levis in die Schweiz aus. In Montreux starb Julius Levi. Seine Witwe erhielt kurz darauf das Visum für Argentinien und lebte bis 1964 in Buenos Aires. Kurz vor ihrem 99. Geburtstag starb sie, stolz auf den nach Kriegsende zurückgegebenen deutschen Pass, aber enttäuscht vom Wiesbadener Regierungspräsidenten, der ihren Wiedergut-machungsantrag mit indiskutablen 100 DM beschieden hatte. Über ihren Anwalt stellte Frieda Levi Altstädter diesen Betrag umgehend deutschen Waisenkindern zur Verfügung.

Als Carlos Levi Altstädter im November 1963 an Oberbürgermeister Engelbrecht einen Brief schrieb, mit dem er einem Aufruf in der deutschsprachigen, in den USA erscheinenden Zeitschrift Aufbau folgte und das Schicksal seiner Mutter schilderte, lebte Frieda Levi Altstädter noch. Ihr Sohn nannte sie stolz „die älteste noch lebende jüdische Original-Weinheimerin”.

Im April 1964 ist Frieda Altstädter gestorben. Ihr Sohn Karl oder Carlos folgte ihr 1967 im Alter von 70 Jahren, seine Frau Johanna Krebs aus Solingen starb 1979 im Alter von 69 Jahren. Karl und Johanna hatten eine Tochter Mariana, geboren 1940, und einen Sohn Ricardo, 1942 geboren. Im aktuellen Familienbuch der Nachfahren des Weinheimer Ehepaares Lazarus und Fanni Altstädter stehen außerdem die Namen von sieben Ur-Enkeln und fünf Ur-Ur-Enkeln, die allesamt in Südamerika leben.

Hans oder Juan Levi, der 1934 seine Eltern in Barcelona aufgenommen hatte, emigrierte 1936 mit seiner Frau Herta Straus und der kurz zuvor in Barcelona geborenen Tochter Ruth Levi nach Bogota, Hauptstadt von Kolumbien. Hier kam 1938 die Tochter Eva zur Welt. Ruth Levi heiratete nach Boston und hat zwei Kinder, Eva blieb in Bogota und hat drei Kinder.

Durch Gerrard Salomons Interesse an der Familiengeschichte der Weinheimer Altstädter ist das Stadtarchiv im September an die „Descendants of Elchanan Altstaedter”, die Liste der Nachkommen von Elchanan Altstädter, gekommen. Der Enkel von Julie, der zweiten Tochter von Lazarus und Fanni Altstädter, hat die Unterlagen aus New York geschickt, wo er seit seiner Hochzeit 1957 mit der aus Insterburg stammenden Ostpreußin Brigitte de Vries lebt. Julie Alstädter, 1867 in Weinheim geboren, heiratete 1900 den Bayern Adolf Mann. 1901 wurde in Solingen die Tochter Änni Ernestine geboren. Sie heiratete 1924 in Köln Luis Salomon aus Eitorf. 1924 wurde Sohn Gerrard Salomon geboren, der noch im gleichen Jahr seinen Vater verlor, 1927 kam Tochter Margrit Merfield aus der zweite Ehe Ännis mit dem Kölner Joseph Merfield zur Welt. Die Kinder und Enkel von Gerrard Salomon wurden in New York geboren, die Nachkommen von Margrit Merfield in Sydney.

Julie Mann Altstädter starb 1962 bei ihrer Tochter in Sydney. Sie wurde 95 Jahre alt.

Heinz Keller, veröffentlicht in den "Weinheimer Nachrichten" vom 11.12.2006

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