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Er war Weinheims zweitgrößter Arbeitgeber

STADTGESCHICHTE: Vor 100 Jahren feierten die Lederwerke ihren Gründer Sigmund Hirsch

Mit ihren Angestellten und Arbeitern feierte die Unternehmerfamilie Hirsch am 22. Februar 1908, heute vor 100 Jahren, das 40-jährige Bestehen der Lederwerke Hirsch, des nach Carl Freudenberg größten Arbeitgebers in Weinheim.

Dazu war der so genannte Barié-Bau - ein von dem Weinheimer Architekten

Julius Barié kurz zuvor vollendeter Neubau im Hirsch'schen Fabrikareal auf den Kapellenäckern - in einen Festsaal umgestaltet worden, den die badischen Farben

Gelb-Rot-Gelb schmückten.

Höhepunkt der Festveranstaltung war die Verkündung einer mit 20 000 Goldmark ausgestatteten Pensionsstiftung, die Firmengründer Sigmund Hirsch "vornehmlich für die Alten" einrichtete, "die im Geschäft grau geworden sind". Vertreter der Belegschaft sollten über die Gewährung von Unterstützungen aus der Stiftung mitbestimmen.

Der 22. Februar 1908 war Betriebsfeiertag bei Hirsch und sollte - so hat es Sigmunds ältester Sohn Max Hirsch in seinen Erinnerungen formuliert - "ein Jubeltag nicht nur für den Vater und die ganze Familie, sondern auch für die gesamte Belegschaft werden, die ihrem 'alten Herrn' ihre

Huldigung darbieten wollte".

Schon am Vorabend hatte sich dazu ein Fackelzug vom Gasthaus "Schwanen" im Müll zur Villa Hirsch an der Heidelberger Straße bewegt, der heutigen Bergstraße. Mit Marschmusik zogen die Hirsch-Arbeiter in den Park der Villa am heutigen Postknoten, die Sigmund Hirsch 1885 von der Witwe des weit gereisten Amerikaners Gottlieb Wilhelm Knoblauch erworben und 1896 bis zur Luisenstraße erweitert hatte.

Sigmund Hirsch stand natürlich auch bei der Festversammlung am nächsten Morgen im Mittelpunkt des Rückblicks auf 40 Jahre Firmengeschichte. Angestellte und Arbeiter feierten in ihm "das Beispiel eines Arbeitgebers, der immer Meister in seinem Betrieb geblieben war, sich vor keiner Arbeit gescheut hatte und auch jetzt noch seinen Leuten zeigen konnte, wie es gemacht wird". Max Hirsch begründete 32 Jahre später in den im portugiesischen Exil niedergeschriebenen Erinnerungen die Popularität des Patriarchen: "Sein Mitarbeiten in jungen Jahren, als er selbst in ihren Reihen stand, war bei den Arbeitern nicht vergessen. Jeder sah und achtete im Vater auch den früheren Mitarbeiter, der seinen Beruf von der Pike auf gründlich gelernt hatte. Mancher der zahlreich vertretenen alten Arbeiter war noch selbst von ihm angelernt worden und so hatte sich seine Art zu arbeiten auf den größten Teil der Belegschaft übertragen, die den Stolz über den Aufstieg des Werkes mit ihrem Herrn teilten". Wie wenige habe es der Vater verstanden, sich in die Gedanken und in die Seele des Arbeiters einzufühlen und, wo er es für notwendig hielt, zu helfen."

Als Beweis, wie sehr sein soziales Verhalten auch in der Öffentlichkeit geschätzt wurde", wertete Max Hirsch, "dass das Bezirksamt Weinheim nach Einführung der obligatorischen Krankenversicherung im Jahre 1890 keinen Besseren als Sigmund Hirsch für die Übernahme des Vorsitzes der neuen Ortskrankenkasse Weinheim finden konnte".

Freude und Trauer lagen in diesem Jubiläumsjahr 1908 für die Familie Hirsch dicht beisammen, denn sechs Monate nach dem freudvollen Betriebsfeiertag

22. Februar starb Sigmund Hirsch am 24. August im Alter von 63 Jahren. Seine Frau Sophie folgte ihm am 19. Januar 1909 in den Tod.

Schon im Frühjahr 1908 hatten sich bei Sigmund Hirsch die ersten Anzeichen einer ernsten Erkrankung bemerkbar gemacht. Trotz mehrwöchiger sorgfältiger Pflege in einem Hamburger Sanatorium trat eine Verschlimmerung ein, die eine sofortige Operation beim damals ersten Frankfurter Chirurgen Professor Pinner notwendig machte. Hirschs Freund und Hausarzt Dr. Hermann Hausmann nahm daran teil, doch Sigmund Hirsch konnte nicht mehr gerettet werden.

Auf dem jüdischen Friedhof in Heidelberg fand Sigmund Hirsch seine letzte Ruhestätte. Rabiner Dr. Pinkus würdigte den Verstorbenen als treues und opferwilliges Mitglied der israelitischen Gemeinde Weinheim, als Helfer der Armen, als Freund seiner Arbeiter, frei von Dünkel und Überhebung,

leutselig und freundlich gegen jedermann. Für den Weinheimer Synagogenrat, dessen Vorsteher Hirsch war, und für die Israelitische Landessynode, der er lange angehörte, sprach Rechtsanwalt Dr. Moritz Pfälzer. Ehrende Worte sprachen auch die Vertreter der Frankfurter Loge und der Heidelberger Friedrichsloge. In Todesanzeigen würdigten die Bureaubeamten und Werkmeister der Firma Hirsch das Vorbild des verstorbenen Chefs, die Arbeiterschaft bekundete ihm Hochachtung und Zuneigung.

Der Synagogenrat Weinheim dankte seinem um den Bau der neuen Synagoge hochverdienten Vorsteher, der Synagogenchor-Verein seinem Förderer, der Bauverein Weinheim seinem Vorstandsmitglied.

Heinz Keller, erschienen in den "Weinheimer Nachrichten" vom 22.02.2008

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