Eine Weinheimer Familie wollte einfach helfen
Auf der Hühnerfarm Fornoff verbrachte Karl Heinz Klausmann drei Jahre bis zu seiner Flucht ins unbesetzte Frankreich
Die Meldekarte Karl Heinz Klausmann wird im Stadtarchiv verwahrt. Die beiden wichtigsten Eintragungen markieren Klausmanns Weinheimer Zeit: "19. Mai 1939, Mühlweg 12 bei Fornoff" den Anfang und "15. April 1942, Flucht, wohin unbekannt" das Ende.
Die Meldekarte bestätigt Achern und den Geflügelhof "Hohbühl" als letzten Aufenthaltsort. Hier war Klausmann seit Jahresende 1937 zum Geflügelwärter ausgebildet worden, hier hatte er Ende März 1939 erfahren, dass seine leiblichen
Eltern und seine Großeltern Juden waren und er damit nach den Nürnberger Gesetzen als "Volljude" galt.Vor diesem Hintergrund schien es seinem Lehrherrn Behrens wohl besser, wenn der inzwischen 19-Jährige aus Achern verschwinden und
an einen Ort wechseln würde, der weniger im Blickpunkt der Öffentlichkeit lag. Aus der gemeinsamen Arbeit im Verband Deutscher Geflügelzüchter kannte Hauptmann Behrens den Weinheimer Züchter Wilhelm Fornoff und das erleichterte
Klausmanns Wechsel von Achern nach Weinheim.
"Fornoffs wussten um die jüdische Abstammung Klausmanns und wollten helfen", haben Professor Dr. Joachim Maier und Monika Stärker-Weineck, die Klausmann-Biografen im Schriesheimer Jahrbuch 2002, bei ihren Gesprächen mit Karl Fornoff, dem inzwischen verstorbenen ältesten Sohn von Wilhelm Fornoff, erfahren können. Klausmann wurde in einem kleinen Haus auf der Hühnerfarm im damals noch unbebauten Westen der Stadt untergebracht. Als Wilhelm Fornoff bei Kriegsbeginn 1939 eingezogen wurde, übernahm der junge Klausmann die Verantwortung für den Betriebsablauf auf der Hühnerfarm und wurde damit Maria Fornoff zu einer unentbehrlichen Stütze.
Die Chefin kam zwar täglich mit dem Fahrrad von der Wohnung in der Villa bei der Hildebrandmühle zum Geflügelhof, aber die Registrierung und Verpackung von täglich bis zu 250 Eiern, das Verwalten von 50 Zentnern Hühnerfutter und das
regelmäßige Füttern der Hühner besorgte Karl Heinz Klausmann. "Er war ein zuverlässiger und lieber Kerl", erinnert sich noch heute Hans Fornoff und bestätigt damit die Aussage seines verstorbenen Bruders Karl: "Mit dem konnte man schaffen!".
Karl Heinz Klausmann scheint sich wohl gefühlt zu haben auf der Hühnerfarm, zumal die Adoptiveltern nach Kriegsbeginn zu ihm gezogen waren und er sich schnell einen Freundeskreis aus Viernheimer und Weinheimer Jungen schaffen konnte. Überschattet wurde die Weinheimer Zeit allerdings vom Tod der unter Asthma leidenden, vor allem aber in ständiger Angst um ihren Sohn
lebenden Mutter am 1. Oktober 1940. Sie scheint die Gefahr geahnt zu haben, die den badischen Juden drohte und die am 22. Oktober 1940 zur tödlichen Wirklichkeit wurde.
Überraschend blieb Klausmann von der berüchtigten "Wagner-Bürckel-Aktion" verschont, der 6538 Deutsche jüdischen Glaubens aus Baden und der Pfalz zum Opfer fielen. Bei der Suche nach einem Grund für die Verschonung deutete Karl Fornoff im Gespräch mit Professor Maier an, dass wohl seine Mutter mit dem an der Petersbrücke, also in ihrer Nachbarschaft, wohnenden badischen NS-Ministerpräsidenten Walter Köhler gesprochen und sich dabei für das Verbleiben von Klausmann auf der Hühnerfarm eingesetzt habe.
Auch in den folgenden anderthalb Jahren blieb Klausmann auf der Hühnerfarm vor den Toren der Stadt unbehelligt. Mitte März 1942 allerdings eröffnete ihm die Geheime Staatspolizei, dass er am 24. April "evakuiert" werde. Im Rahmen dieser später "Abwanderungstransporte" genannten Aktion erfasste die Gestapo die letzten, 1940 von der Deportation nach Gurs verschont gebliebenen badischen Juden, darunter auch die Familie des Weinheimer Religionslehrers Auerbacher (wir berichteten). Wieder bemühte sich Frau Fornoff, ihren längst unentbehrlich gewordenen Mitarbeiter vor der "Evakuierung" zu bewahren, aber diesmal wurde ihr Befreiungsantrag abgelehnt.
Nun bereitete Klausmann seine Flucht in den unbesetzten Teil Frankreichs vor, offenbar mit Unterstützung von Freunden aus Mannheim. Klausmann sprach darüber mit seinem Vater und weihte wohl auch seine aus Bonsweiher stammende Freundin ein, denn sie nähte ihm am Abend vor dem Fluchttag das in Mannheim irgendwie erworbene französische Geld in den Rock.
In den Morgenstunden des 4. Mai 1942 verließ Karl Heinz Klausmann die Hühnerfarm Fornoff und Weinheim. Wie er in das von den Deutschen (noch) unbesetzte "Vichy-Frankreich" kam, ist nicht bekannt. Sicher aber ist, dass die Flucht gelang. Die Gestapo gab sich damit freilich nicht ab. Sie schrieb Klausmann in Deutschland und in Frankreich zur Fahndung aus. Aber auch der Adoptivvater, für den Karl Heinz immer der eigene Sohn war, und die Freundin gerieten nach der Flucht Klausmanns ins Visier der Geheimen Staatspolizei. Mehr darüber und über Klausmanns Zeit in derfranzösischen Widerstandsbewegung im nächsten Beitrag.
Heinz Keller, erschienen in den "Weinheimer Nachrichten" vom 22.09.2008