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Ein Blick in ihre Geschichte:

Die Weinheimer Judengemeinde

von Hans Altstädter (Jerusalem)

Die Weinheimer Judengemeinde war immer sehr klein. Um die Wende zum 19. Jahrhundert durften nur 10 Judenfamilien in Weinheim wohnen. Die Judenwohnungen befanden sich damals am Abhang des Domhofs. eine Synagoge im heutigen Sinne konnten sich die Weinheimer Juden nicht leisten; es gab nur eine Schul- und Betstube. Da die Juden an die kurpfälzische Regierung in Heidelberg immer hohe Abgaben und Steuern zu entrichten hatten, konnten sie es kaum zu Wohlstand bringen. Erst als Weinheim zu Baden kam und den Juden in beschränktem Maße Bürgerrechte zugestanden wurden, verbesserte sich ihre Lage etwas. Im Jahre 1812 wurde die Synagoge als baufällig erklärt, aber die Gemeinde war nicht in der Lage, die Kosten einer Renovierung auszubringen. Mit der vollen Gleichberechtigung im Jahre 1863 hat sich das Bild positiv verändert. Viele Bürger zogen aus den umliegenden Gemeinden in die Stadt. Die Zahl der jüdischen Familien wuchs bis Ende des 19. Jahrhunderts auf fast das Dreifache an. Die meisten Familien siedelten sich an der Hauptstraße an und eröffneten Ladengeschäfte.

Die "Synagoge" war damals eine dunkle Betstube südlich vom Marktplatz; sie war viel zu klein und konnte den Notwendigkeiten nicht mehr entsprechen. Gemeindevorsteher Marx Altstädter brachte deshalb den Plan in die Diskussion, eine neue, der Zeit entsprechend schöne Synagoge zu errichten.

Alle Spenden wurden für den Neubaufonds angelegt. Damit konnte die Gemeinde bald einen schönen Bauplatz an der neuen Ehretstraße kaufen und die Bauplanung einem Frankfurter Architekten übertragen. Mit großzügiger finanzieller Unterstützung von Sigmund Hirsch und seinen beiden Söhnen wurde das Gotteshaus geplant und die Gemeinde konnte sich einen neuen Kantor und Religionslehrer leisten. Nach dem Tode von Marx Altstädter übernahm im Jahre 1903 der junge Rechtsanwalt Dr. Moritz Pfälzer bis zu seinem Tode 1935 die Leitung der Gemeinde.

Die feierliche Grundsteinlegung fand 1904 statt. Unter dem zukünftigen Thoraschrein wurde eine Urkundenrolle eingemauert. Die neue Synagoge konnte im August 1906 feierlich eingeweiht werden. Aber schon 32 Jahre danach wurde sie von fanatischen Vandalen zerstört. Die neue Weinheimer Synagoge war kein sehr großes, aber ein sehr schönes und zweckmäßig erbautes Gotteshaus. Die Männer saßen im Betsaal dem Altern nach, in den vorderen Reihen die älteren Männer. Die Frauen saßen in den Seitenschiffen nach ihrem Hochzeitsdatum.

In die Ostwand eingebaut war der Thoraschrein mit einer Zweiflügel-Tür aus massivem Eichenholz. In die Außenseite der Schranktüren waren die Embleme der zwölf Stämme Israels geschnitzt. Vor dem Thoraschrank war ein besonders schöner Vorhang aus Samtstoff mit Goldstickerei. Unsere Synagoge besaß fünf verschiedene Vorhänge, einen weißen für die hohen Feiertage, einen blauen für die drei Wallfahrtsfeste, einen weinroten und einen dunkelgrünen für die Sabbattage. Damit die Goldstickerei und überhaupt die wertvollen Vorhänge in gutem und schönem Zustand erhalten blieben, wurden die Vorhänge auf Holzrahmen gespannt und wie eine Schiebetür nach rechts vom Thoraschrank geschoben.

Wenn man die Türen zum Thoraschrank öffnete, fiel von oben gedämpftes Licht in den Schrank; die Decke war aus Mattglas, darüber an der Außenwand war ein kleines Fenster, das Licht von oben in den Schrank ließ. Im Schrank standen fünf oder sechs Thorarollen, die mit Schutzmäntelchen aus demselben Samtstoff und Goldstickerei wie die Vorhänge umhüllt waren. Auch mit Silberschmuck waren die Thorarollen dekoriert: Mit Kronen, kleinen Glöckchen, verschiedenen Schildern und einer "Jad", einer Zeigehand, um den Thoraabschnitt mitlesen zu lassen. Alle Bronzearbeiten an der Ostwand und der Südwand, die Gedenktafel für die im I. Weltkrieg gefallenen Söhne der jüdischen Gemeinde, der große, siebenarmige Leuchter zum Gedenken an Sigmund Hirsch und die Kandelaber zur Beleuchtung der Synagoge waren Arbeiten des berühmten Künstlers Elkahn, der auch die Leuchter in der Westminster Abbey und die große Menora von der Knesset in Jerusalem schuf.

Mit der Zerstörung der Synagoge am 10. November 1938 ging auch die kleine und sehr aktive jüdische Gemeinde unter.

Hans Altstädter, am 09.11.1988 in den Weinheimer Nachrichten veröffentlicht.

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