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David Benjamin war der letzte Repräsentant der Weinheimer Juden

Nach jahrzehntelangem Engagement in der Gemeinde wurde ihm alles genommen: erst der Besitz und dann das Leben

Kurz vor Ausbruch des 1. Weltkriegs hatte die Iraelitische Gemeinde Weinheim 190 Mitglieder. Die 1906 geweihte Synagoge war Mittelpunkt eines lebendigen Gemeindelebens, in dem sich einige jüdische Bürger besonders engagierten. Zu ihnen zählte der 1871 in Lützelsachsen geborene Textilkaufmann David Benjamin. In seinem Kaufhaus auf der dem Deutschordenshaus gegenüber liegenden Ecke Amtsgasse/Hauptstraße wurden Kurz-, Woll- und Weißwaren, dazu Korbwaren, aber auch Papier- und Schreibwaren angeboten. Benjamin bekleidete im dreiköpfigen Gemeindevorstand als einer der beiden für alle Verwaltungsauf-gaben zuständigen Synagogenräte eines der wichtigsten Ämter in der israelitischen Gemeinde Weinheim.

Er war aber auch in den jüdischen Gemeinschaften tätig, die sich nach der Jahrhundertwende gebildet hatten. Im 1904 gegründeten Synagogenchorverein war Benjamin Gründungsschriftführer. 1908 übernahm er den Vereinsvorsitz, den er 1922 an seinen bisherigen Stellvertreter Marx Maier übergab.

Ehrenamtliches Engagement …

In der ältesten jüdischen Gemeinschaft Weinheims, dem 1868 gegründeten Israelitischen Krankenunterstützungsverein, wurde David Benjamin 1922 Kassier. Zuvor war 1904 die Vereinsaufgabe der Unterstützung im Krankheitsfall um die Einrichtung einer Sterbekasse erweitert worden, und 1913 hatte sich der Krankenunterstützungs- und Sterbekassenverein mit dem mitgliederstarken Frauenverein zusammengeschlossen, der im jüdischen Gemeindeleben schon deshalb von besonderer Bedeutung war, weil er neben einer regen kulturellen Vortragsarbeit die jüdische Kinderstube betrieb. Die Tätigkeit als Finanzchef in einer so bedeutsamen sozialen Einrichtung verlangte von David Benjamin viel ehrenamtliches Engagement, das er übrigens in gleicher Weise für die Stärkung Weinheims als Einkaufsstadt einsetzte: mit seinen Kollegen und Konkurrenten arbeitete er bei gemeinsamen Werbeaktionen zusammen.

… zählte nichts mehr

David Benjamin war, noch als 44-Jähriger, in deutscher Uniform Teilnehmer am 1. Weltkrieg. Das zählte am 11. März 1933 nichts mehr, als Weinheimer SA-Männer auch auf Benjamins Schaufenster große gelbe Kreise malten und damit die Bevölkerung aufriefen, das Kaufhaus zu boykottieren. Doch es kam noch schlimmer: in den frühen Morgenstunden des 10.November 1938 wurde die Synagoge an der Bürgermeister-Ehret-Straße zerstört und auch im Kaufhaus Benjamin wurde „von einer kochenden Volksseele” (Hakenkreuzbanner) „spontan” Schaden angerichtet, den die Versicherungen, wie bei allen anderen Übergriffen auf jüdische Geschäfte, wegen „höherer Gewalt” nicht ersetzten.

Nach der Reichspogromnacht und den ihnen folgenden Auswanderungen war David Benjamin als Synagogenrat der letzte Vertreter der klein gewordenen israelitischen Gemeinde Weinheim. Als die Stadtverwaltung am 11. April 1939 mit einem geheimen Schreiben aus Mannheim aufgefordert wurde, die jüdische Gemeinde zur Beseitigung der Überreste der gesprengten Synagoge zu veranlassen, wandte sie sich an Benjamin und er sah sich gezwungen, dem Bauunternehmen Friedrich Reiboldt den Auftrag zum Abbruch zu erteilen – derselben Firma, die 33 Jahre zuvor den Bau der Synagoge durchgeführt hatte. Die Kosten für diese Aktion musste die jüdische Gemeinde übernehmen. Wie schwer das die zurückgebliebenen Juden traf, die sich eine von 25 % Reichsfluchtsteuer und 20 % Judenabgabe belastete Auswanderung nicht leisten konnten, kann man nur ahnen.

Vier Stolpersteine erinnern

Und es ging weiter mit der Entrechtung der jüdischen Menschen und dem staatlichen Raub ihres Eigentums. Von der „Zwangsarisierung” jüdischer Geschäfte war auch das Kaufhaus Benjamin betroffen. Doch das Schlimmste stand den Benjamins noch bevor: am 22. Oktober 1940 wurden der 69-jährige David Benjamin und seine 70-jährige Ehefrau Emilie, geborene Blün, verhaftet und nach Gurs deportiert. David Benjamin starb am 6. Dezember 1940 im Lager, seine Frau wurde in ein französisches Altersheim verlegt, in dem auch sie starb. Mit Emilie Benjamin wurden am 22. Oktober 1940 auch ihre im Haus Amtsgasse 1 lebende verwitwete Schwester Luise Lichtenstein und deren Tochter Bella nach Gurs verschleppt. Luise Lichtenstein schaffte die Auswanderung nach Palästina und durfte ihr Leben in hohem Alter bei ihrer schon 1936 emigrierten Tochter Johanna beenden. Bella Lichtenstein gehörte am 12. August 1942 dem für viele badische Juden schicksalhaften Transport nach Auschwitz an und wurde dort vergast. Bella Lichtenstein wurde 41 Jahre alt.

Hanna Vollweiler, geborene Lichtenstein, nahm 1979 am ersten Heimattreffen ehemaliger jüdischer Mitbürger in Weinheim teil und berichtete den betroffen lauschenden Schülern des Werner-Heisenberg-Gymnasiums von den Schicksalen in ihrer Familie.

„Verwertung jüdischen Vermögens”

Der tödlichen Deportation nach Gurs folgte die Enteignung jüdischen Privatbesitzes. Bei ihrer Verhaftung hatten die letzten Weinheimer Juden in ihren Wohnungen auch Sparbücher, Wertpapiere, Schmuck und Bargeld zurücklassen müssen. Die Nazis reagierten schnell: Am 8. November 1940, 17 Tage nach der Deportation, befand der Mannheimer Polizeipräsident: „Durch Anordnung des Gauleiters und Reichsstatthalters und Ausführungsverordnung des Badischen Ministers des Innern ist mir das Alleinverfügungsrecht über das Vermögen der aus Mannheim-Stadt und dem Landkreis Mannheim ausgewiesenen Juden übertragen worden”.

Auch in der Privatwohnung Benjamin wurden alle Haushaltsgegenstände in Listen erfasst und später in der Obstgroßmarkthalle (heute Neukauf) öffentlich versteigert. In einer Zeitungsanzeige am 20. Dezember 1940 wies das Bürgermeisteramt darauf hin, dass am 23. Dezember „Möbelstücke, komplette Wohnzimmer, Schlafzimmer und Schränke im Hause Amtsgasse 1” gegen Barzahlung versteigert werden. Der bei Benjamin begonnenen Versteigerung jüdischen Privatbesitzes folgten im Januar 1941 weitere Haushaltsauflösungen. In die leer geräumten Wohnungen wurden zumeist kinderreiche Familien eingewiesen. Schließlich wurde auch das Haus Amtsgasse 1 enteignet und „in den Besitz des Deutschen Reiches überführt”. David Benjamin musste den Raub seines Vermögens nicht mehr erleben. Er ist, wie 1050 andere Deportierte, bereits im ersten Winter den schrecklichen Verhältnissen im Lager Gurs erlegen.

Lange Gebäudegeschichte

Das mit der Jahreszahl 1740 im Erker geschmückte Haus bei der Einmündung der einstigen Kochgasse und heutigen Amtsgasse in die Hauptstraße hat wohl eine alte Geschichte, die allerdings erst ab 1721 dokumentiert ist. Möglicherweise hat der Rotgerbermeister Johann Friedrich Hecker das ursprüngliche Gebäude 1733 abreißen und auf dem Grund einen Neubau errichten lassen. Schon zwischen 1748 und 1783 war das Haus in jüdischem Besitz: der Schutzjude und Händler Lazarus Löw erwarb es 1748. Ihm gehörten auch das Nachbarhaus und die Hälfte der gegenüberliegenden Scheune des Deutschen Ordens. 1768 erbte Gumbel Löw, pfälzischer Schutzjude, Kaufmann und „hochfürstlicher darmstädtischer Hof-Factor” das Anwesen. 1783 verkaufte Löw, inzwischen Vorsteher der Weinheimer Judenschaft, das Haus Kochgasse 1 an den Kaufmann und Achter Angelus Heilmann. Zwischen 1862 und 1877 wurde das Erdgeschoss, in dem sich bis dahin ein Ladengeschäft befunden hatte, als Gastwirtschaft genutzt, die in dieser Zeit den Namen „Zum Eichbaum” führte. Danach wurde in dem markanten Gebäude, vor dem am 6. April 2006 die vier ersten Stolpersteine zur Erinnerung an Emilie und David Benjamin, Luise und Bella Lichtenstein ins Straßenpflaster eingelassen wurden, wieder Handel betrieben – bis heute.

Heinz Keller, veröffentlicht in den "Weinheimer Nachrichten" vom 23.10.2006

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