Allein die Auerbachers wurden (noch) nicht deportiert
Über den Grund ihrer vorläufigen Verschonung kann man nur spekulieren / Die Familie stammte aus der Ortenau
Am Abend des 22. Oktober 1940 war im Hause Hauptstraße 17 nur noch die Familie Auerbacher anzutreffen. Die übrigen Bewohner des „Judenhauses” waren am frühen Morgen von Polizeibeamten aufgefordert worden, sich innerhalb einer Stunde im Schlosshof einzufinden. 50 Kilogramm Gepäck und 100 RM Bargeld pro Person durften sie mitnehmen, außerdem Verpflegung für vier Tage.
Warum Arthur und Johanna Auerbacher und ihre Söhne Berthold und Herbert bei der berüchtigten „Wagner-Bürckel-Aktion”, die Baden und damit auch Weinheim „judenfrei” machen sollte, nicht verhaftet und nicht deportiert wurden, ist nicht bekannt. Man kann nur spekulieren, dass das mit der jüdischen Schule in Mannheim zu tun hatte. „Die jüdische Schule stellte für immer ihren Betrieb ein, als am 22. Oktober 1940 Schüler wie Lehrer nach Gurs verschleppt wurden. Kein jüdischer Lehrer blieb in Mannheim zurück”, schildert Volker Keller das brutale Ende in seinem Buch „Jüdisches Leben in Mannheim” (1995).
Was dann noch möglich war, hat auch mit Arthur Auerbacher zu tun. Volker Keller: „Für etwa 30 Kinder, die aus ‚Mischehen’ stammten oder Ausländer waren und daher nicht auf den Deportationslisten standen, organisierte der kommissarische Leiter der Restgemeinde, Studienrat i. R. Hermann Hauser, Unterricht im Haus B 7,2. Die Lehrer Arthur Auerbacher aus Weinheim und Herta Mansbacher aus Worms kamen täglich von auswärts”.
Die Familie Auerbacher stammte aus der Gemeinde Kippenheim im Ortenaukreis. Dort gab es einmal eine starke jüdische Gemeinde, die ihr mit dem Status des nun anerkannten Staatsbürgers erworbenes Selbstbewusstsein 1850 im Bau einer neuromanischen Synagoge ausgedrückt hatte. Geschändet und entweiht überstand sie die Pogromnacht und dient heute als Gedenk- und Begegnungsstätte.
Im Kippenheimer Ortssippenbuch beginnt die Familiengeschichte mit dem Handelsmann und Landwirt Hirsch Auerbacher (1816-1896). Seine erste Ehe mit der aus Nonnenweier stammenden Rebekka Baum (1825-1849) endete jäh nach zwei Monaten, als die erst 23-Jährige überraschend starb. 1850 heiratete Auerbacher seine Schwägerin Bräunel Baum (1827-1910). Mit ihr hatte er zehn Kinder, darunter den 1860 geborenen Sohn Maier (Wilhelm) Auerbacher. Er wurde Bäckermeister in Kippenheim, heiratete Frieda Hoffmann und hatte mit ihr sieben Kinder. Sohn Arthur wurde 1898 geboren, erlernte den Beruf eines Kaufmanns und heiratete 1926 die Kindergärtnerin Johanna Freund aus Feudenheim, dem einzigen Mannheimer Vorort mit einer jüdischen Gemeinde. Die Geburt des Sohnes Berthold Julius am 30. November 1927 ließ Arthur Auerbacher ins Standesbuch Kippenheim eintragen.
Die Geburt von Herbert am 21. September 1931, des zweiten Sohns von Johanna und Arthur Auerbacher, wurde im Standesbuch Sinsheim eingetragen. Denn inzwischen war die Familie von der Ortenau in den Kraichgau umgezogen. Arthur Auerbacher hatte am Lehrerseminar in Kassel seine Ausbildung abgeschlossen und wirkte von 1931 bis 1934 am Sinsheimer Gymnasium. Den israelitischen Religionsunterricht besuchten zuletzt allerdings nur noch acht von 265 Oberschülern. Nach 1934 wurde am Gymnasium Sinsheim kein israelitischer Religionsunterricht mehr erteilt (Wilhelm Bauer: „Die ehemalige jüdische Gemeinde von Sinsheim”. Sinsheimer Hefte 1995).
Der Eintrag der Geburt von Herbert Auerbacher im Sinsheimer Standesbuch hatte 1946 – vier Jahre nach der Deportation des seitdem verschollenen Zehnjährigen – ein Nachspiel: Gottlob Barth, Nachkriegs-Bürgermeister von Sinsheim, ließ einen Randvermerk streichen, den ein übereifriger Standesbeamter 1938 dem Geburtseintrag angefügt hatte. „Der Vater des nebenbezeichneten Kindes hat als gesetzlicher Vertreter des nebenbezeichneten Kindes angezeigt, dass dieses nach der Verordnung vom 17.8.1938 zusätzlich den Vornamen ’Israel’ führe”.
Daraus entstand der Anschein, als ob die Namensänderung freiwillig erfolgt sei. Tatsächlich aber war am 17. August 1938 die „Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen” erlassen worden, nach der Juden ihrem Vornamen den Namen „Israel” oder „Sara” hinzusetzen mussten.
Da es ab 1934 keinen israelitischen Religionsunterricht am Sinsheimer Gymnasium mehr gab, musste sich Arthur Auerbacher eine neue Aufgabe suchen. Offensichtlich fand er sie in Weinheim, denn vom 16. Juli 1934 stammt seine Anmeldung beim Einwohnermeldeamt mit der Adresse „Friedrichstraße 12 bei Bayer”. Arthur Auerbacher war in Weinheim als Kantor und Vorbeter der israelitischen Gemeinde tätig, als Religionslehrer aber wohl in Mannheim.
Es gibt keine schriftlichen Hinweise auf Arthur Auerbachers Tätigkeit an Weinheimer Schulen, wohl aber einen Bericht des Oberrats der Israeliten in Baden vom 14. April 1939 an den Minister des Kultus und Unterrichts in Karlsruhe über die Anstellung des „seminaristisch gebildeten Religionslehrers Israel Auerbacher in Weinheim zur Erteilung von Religionsunterricht” an der jüdischen Abteilung der Grund- und Hauptschule in Mannheim, an der zu Beginn des Schuljahres vier Lehrkräfte fehlten. Sie waren durch Tod oder Auswanderung ausgeschieden.
Ein weiterer Beitrag beschäftigt sich auch mit der jüdischen Schule Mannheim, deren letzter Leiter Arthur Auerbacher war, ehe er am 24. April 1942 zusammen mit seiner Familie nach Theresienstadt deportiert wurde. „Evakuiert in den Osten” wurde das in der Weinheimer Einwohnermeldekartei genannt.
Verfasser: Heinz Keller,
veröffentlicht in: "Weinheimer Nachrichten" vom 02.08.2007