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Keinen „Dank des Vaterlandes” für jüdische Kriegstote

Fünf Weinheimer Juden fielen im 1. Weltkrieg, doch ihre Namen durften auf dem Ehrenmal nicht erscheinen

Im 1. Weltkrieg kämpften nahezu 5.000 badische Juden „für Kaiser, Volk und Vaterland”. Sie fühlten sich als deutsche Staatsbürger, mit allen Rechten und Pflich-ten. Am 4. August 1914, wenige Tage nach Kriegsbeginn, feierte die israelitische Gemeinde Weinheim in ihrer neuen Synagoge an der Bürgermeister-Ehret-Straße einen „Bittgottesdienst für unsere im Felde stehenden Truppen”. Im Dezember 1914 überschrieb das Kaufhaus Gebrüder Rothschild seine Weihnachtsanzeige: „Nach den großen Siegen können wir das Weihnachtsfest in froher Zuversicht feiern”. Drei Jahre später waren die beiden Inhaber des in der Region sehr populären Fachgeschäfts für Manufaktur- und Modewaren (heute Schuhhaus Rohr) tot. 1916 fiel Siegmund Rothschild, so schrieb die Mutter in der Todesanzeige, „im Kampf für das Vaterland”. Den Verlust des zweiten Sohnes „nach 37-monatiger treuer Pflichterfüllung” musste Amalie Rothschild ein Jahr später bekannt geben.

Namenlos gefallen

Die Brüder Rothschild waren zwei der fünf Weinheimer Kriegstoten israelitischen Glaubens. Als am 18. Oktober 1936 das Ehrenmal für die Gefallenen des 1. Weltkriegs an der Bahnhofstraße eingeweiht wurde, fehlten auf den Namenstafeln in der Porphyrmauer die Namen Karl David, Bernhard Lehmann, Max Lehmann, Moritz Rothschild und Siegmund Rothschild.

Diese fünf Weinheimer waren im 1. Weltkrieg Frontsoldaten gewesen wie die übrigen 472 Weinheimer, deren Sterben nun mit einer nationalsozialistischen Kundgebung „gefeiert” wurde.

Der Gauleiter sagte Nein

Die Begründung für das Fehlen der fünf Namen findet sich in einer handschriftlichen Aktennotiz des Vorsitzenden des Denkmalausschusses, des 1. Beigeordneten Dr. Friedrich Meiser, vom 12. November 1935: „Nach einer heute um 10.30 Uhr erfolgten fernmündlichen Mitteilung des Herrn Kreisleiters Friedrich sollen die Namen gefallener jüdischer Kriegs-teilnehmer nicht auf den Ehrentafeln vermerkt werden. Diese Entscheidung beruht auf der eingeholten Stellungnahme des Gauleiters”.

Der Druck von Gauleiter Wagner und Kreisleiter Friedrich auf die Stadtverwaltung Weinheim schockierte die Juden, die, wie die meisten Weinheimer, zu der wesentlich aus dem Spendenaufkommen finanzierten Ehrenstätte ihren Beitrag geleistet hatten.

Kritik vom Reichsbund

Daran erinnerte der Reichsbund Jüdischer Frontsoldaten am 30. Dezember 1935 in einem Schreiben an den Denkmalausschuss: „Der Aufruf zur Zeichnung von Spenden ist auch an Juden gegangen. Zugleich ist diesen mitgeteilt worden, dass selbstverständlich auch die im Krieg gefallenen Juden aus der Stadt Weinheim auf dem Denkmal aufgeführt werden würden. Unter dieser Voraussetzung haben auch Juden für den Denkmalsfonds Spenden gezeichnet”. Die Korrektur dieser Zusage nannte der Vorsitzende des Reichsbundes Jüdischer Frontsoldaten, Dr. Dienemann (Berlin), „für uns unfassbar”, denn: „Ein derartiger Beschluss würde die Entehrung der für Deutschland gefallenen jüdischen Soldaten bedeuten”.

Der Einspruch des Reichsbundes änderte nichts mehr: „Eine Beschlussfassung des Denkmalausschusses liegt nicht vor. Die Regelung geschah auf Anordnung”, teilte der Bei-geordnete am 18. März 1936 dem Reichsbund mit. Die für die Errichtung des Ehrenmals von 41 jüdischen Bürgern und den Lederwerken Hirsch gespendeten 1.197 RM wurden von der Stadtkasse an die Spender zurückgezahlt.

Späte Ehrung

20 Jahre später korrigierte der Weinheimer Nachkriegs-Gemeinderat die Willkür der Gauleiter-Entscheidung. Mit der Erweiterung des Ehrenmals um die Namen der Kriegsopfer des 2. Weltkriegs wurden Ende Mai 1959 nun 477 Tote des 1. Weltkriegs und 1.165 im 2. Weltkrieg Gefallene geehrt: unauffällig waren die Namen der fünf im 1. Weltkrieg gefallenen Juden auf der letzten Namenstafel angefügt worden.

Sie lebten unter uns

In der Einwohnerkartei, die beim Stadtarchiv verwahrt wird, haben die fünf Juden, die im 1. Weltkrieg für Deutschland starben, Gesichter, denn sie stammen allesamt aus Familien, die in Weinheim verwurzelt waren.

Karl David ist am 9. November 1918 Waffenstillstandes im Alter von 42 Jahren gefallen oder gestorben. David war Metzgermeister und führte im Hause Domhofgasse 1 (heute türkisches Spezialitätengeschäft Ahmet Erciyas) eine Metzgerei. Seine Mutter Babette, geborene Rothschild, starb 1937.

Max Lehmann (1879-1915) betrieb in der unteren Hauptstraße, in der Nachbarschaft der heutigen spanischen Gaststätte Casa Paco, einen Handel mit Landesprodukten und Mehl. Seine Witwe Hannchen, geborene Reinach, verlor nach dem Kriegstod ihres Mannes am 6. Juli 1915 an der Westfront im gleichen Jahr noch ihren vierjährigen Sohn Karl.

Bernhard Lehmann fiel im Februar 1917. Er war 29 Jahre alt. Sein Vater Wolf Lehmann war einer der Repräsentanten der Israelitischen Gemeinde Weinheim. Zusammen mit Berthold Kaufmann und Ferdinand Rothschild gehörte er dem Synagogenrat an, der für die Verwaltung der Gemeinde, des Armenwesens und der Stiftungen zuständig war, der die Syna-gogenordnung überwachte und damit auch die Angelegenheiten der Schächter, Vorsänger und Religionslehrer. Wolf Lehmann war, wie man damals sagte, Agent der Versicherungsanstalten der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank, der späteren Bayerischen Versicherungsbank. Die Familie Lehmann wohnte mit Vater Wolf, Mutter Rosa, geborene Marx, Sohn Bernhard und Tochter Rickchen im Eckhaus Johannisstraße/Wilhelmstraße (später Paul Homagk). Wolf Lehmann starb 1919, Rosa Lehmann 1933.

Siegmund Rothschild, 1883 geboren, und sein vier Jahre jüngerer Bruder Max hatten, nach dem Tod ihres Vaters Ferdinand Rothschild (1853-1914) im Februar 1914 das „Große Kaufhaus für alle” übernommen Siegmund Rothschild wurde 33 Jahre alt, Max Rothschild 30 Jahre.

Heinz Keller, veröffentlicht in den "Weinheimer Nachrichten" vom 28.06.2006

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