Jüdische Beiträge zur Einkaufsstadt Weinheim
Adolf Braun gehörte zu den Kaufleuten, die zwar Konkurrenten waren, aber gemeinsam für Weinheim warben
An der Hauptstraße zwischen Marktplatz und Dürreplatz warben zum Zeitpunkt der nationalsozialistischen „Machtübernahme” am 30. Januar 1933 zwanzig jüdische Geschäfte um Kunden. Sie hatten die Vorteile moderner Verkaufsförderung früh erkannt und nutzten sie in den beiden lokalen Tageszeitungen, allen voran das Kaufhaus Gebrüder Rothschild, das in großem Stil inserierte und nach der Renovierung seiner Geschäftsräume (heute Fielmann) im Oktober 1926 eine Modenschau mit 1.000 Besuchern veranstaltete.
Die jüdischen Fachgeschäfte leisteten mit ihrem Angebot entscheidende Beiträge zum Ruf Weinheims als Einkaufsstadt für Bergstraße und Odenwald. Für ihre Inhaber war es selbstverständlich, sich an den Gemeinschaftsaktionen des Weinheimer Einzelhandels zu beteiligen. Auch der Textilkaufmann Adolf Braun wusste, dass die Einkaufsstadt Weinheim nur erfolgreich sein konnte, wenn sich protestantische und jüdische Geschäftsinhaber nicht bekriegten, sondern gemeinsam die Vorzüge des Einkaufens in Weinheim vertraten. Deshalb war Adolf Braun immer dabei, wenn christliche und jüdische Geschäfte gemeinsam warben, und für diese Gemeinsamkeit engagierte er sich auch im Vorstand der Ortsgruppe Weinheim des Badischen Einzelhandelsverbandes – bis am 1. April 1933 ein eintägiger Boykott der jüdischen Geschäfte („Deutsche! Wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden!) die lange Reihe antijüdischer Maßnahmen des neuen Regimes einleitete. Zu den großen Enttäuschungen dieses Tages gehörte für Braun die Erkenntnis, dass Harmonie und Toleranz, für die er über alles Konkurrenzdenken hinweg jahrzehntelang eingetreten war, sich als so wenig belastbar erwiesen.
Adolf Braun fühlte sich als Weinheimer
Im Erdgeschoss des Institutsgebäudes an der Hauptstraße, in dem die Familie Bender wohnte, hatte er noch vor dem 1. Weltkrieg ein Fachgeschäft eröffnet, das nicht nur Herren- und Knabenbekleidung, Sportgeräte und Sportkleidung führte, sondern auch „Feldgraue Uniformen in soliden Qualitäten und guter Verarbeitung”. Als die Firma Braun im Dezember 1914 in einer Zeitungsanzeige ihre Uniformen für „Infanterie, Garde-Infanterie und Ulanen” anpries und dazu auf ihre „Militär-Knabenmützen” verwies, trug der Geschäftsinhaber selbst die feldgraue Uniform. Adolf Braun nahm als deutscher Jude am 1. Weltkrieg teil, kehrte als Verwundeter in die Heimat zurück und wurde Mitglied im Vorstand des Ortsvereins Weinheim im Reichsbund jüdischer Frontsoldaten (RjF), der – im Unterschied zu den Zionisten – die Assimilation der Juden in die deutsche Gesellschaft anstrebte. Der Reichsbund wurde 1919 gegründet. Er wollte dem Antisemitismus in Deutschland mit dem Hinweis entgegenwirken, dass im 1. Weltkrieg etwa 85.000 deutsche Juden gekämpft hatten und 12.000 gefallen waren. 1936 wurde dem Reichsbund jede politische Tätigkeit untersagt, 1938 wurde er aufgelöst.
Die Kriegsteilnahme war für Adolf Braun ein Teil seines klaren Bekenntnisses zur deutschen und zur Weinheimer Heimat. Dieser jüdische Patriotismus kam im Dezember 1914 übrigens auch in anderen Zeitungsanzeigen zum Ausdruck: „Nach den großen Siegen können wir das Weihnachtsfest in froher Zuversicht feiern” überschrieb das Kaufhaus Gebrüder Rothschild seine Anzeige. Unter seinen Angeboten war auch „Militär-Unterwäsche für Liebesgaben”. Die Möglichkeiten, „den tapferen Soldaten im Felde” eine Weihnachtsfreude zu bereiten, reichten von „Leib-, Knie- und Pulswärmern” bis zur „wasserdichten Unterkleidung Marke Hindenburg”, die sich nach Rothschild-Meinung „bestens bewährt” hatte.
Es gehört zu den Familiendramen jener Zeit, dass das Kaufhaus Gebrüder Rothschild zwei seiner drei jungen Geschäftsführer in den Kriegsjahren 1916 und 1917 verlor und der letzte Rothschild-Sohn Hugo, ebenfalls Kriegsteilnehmer, 1936 miterleben musste, wie Gauleiter Wagner und Kreisleiter Friedrich der Stadt Weinheim untersagten, die Namen seiner gefallenen Brüder Moritz und Siegmund Rothschild auf die Opfertafeln am neuen Ehrenmal zu übernehmen.
In die Familie Rothschild, eine der ältesten jüdischen Familien Weinheims, hatte der aus Flonheim im Kreis Alzey stammende Textilkaufmann Adolf Braun 1910 geheiratet. Seine Frau Frieda, Cousine der Gefallenen Moritz und Siegmund, war die jüngste der fünf Töchter von Wolf Rothschild, der an der Hauptstraße (heute Modehaus Zeumer) das väterliche Kaufhaus Jacob Rothschild führte. Frieda Braun war auch die Schwester der Konzertpianistin Paulina Rothschild und die Schwägerin des um das Weinheimer Kulturleben hoch verdienten Hauptlehrers und Kantors Marx Maier, der mit ihrer ältesten Schwester Bertha Rothschild verheiratet war.
Neben seinem Schwager Marx Maier, dem Gründer des Kammermusikvereins Weinheim, war Adolf Braun der populärste Repräsentant des Rothschild-Clans, der in der heutigen Fußgängerzone mit den Kaufhäusern Jacob Rothschild und Gebrüder Rothschild, dem Konfektionshaus Bergen (heute Tchibo) und Adolf Brauns „Erstem und größtem Spezialhaus für Herren- und Knabenkleidung und für Sportartikel” (Eigenwerbung) eine dominante Rolle spielte. Mit seinem breiten Angebot an Sportgeräten und Sportbekleidung wurde Braun zum führenden Ausstatter der Weinheimer Turn- und Sportvereine und zum Förderer des Sports.
Ab 1936 fühlten sich Adolf und Frieda Braun der wirtschaftlichen Strangulation durch das NS-Regime nicht mehr gewachsen, verkauften das 1920 von Dr. Dietrich Bender erworbene Haus Hauptstraße 94 an den Kaufmann Fritz Delert und wanderten 1937 in die USA aus.
Bereits 1933 und 1935 hatten ihre Söhne Alfred und Ernst diesen Weg gewählt. Von ihnen, ihrer Jugend in Weinheim und ihrem Einsatz für das Heimattreffen ehemaliger jüdischer Bürger 1979 in Weinheim erzählt ein weiterer Beitrag.
Heinz Keller, veröffentlicht in den "Weinheimer Nachrichten" vom 16.03.2007