Getreide- und Mehlhandel fest in Altstädters Hand
Die Familie war an der Hauptstraße ansässig und spielte in der israelitischen Gemeinde häufig eine führende Rolle
Im ersten Weinheimer Adressbuch von 1882 sind sieben Altstädter verzeichnet. Darunter sind die Brüder Lazarus und Marx Altstädter, die 1856 zusammen mit ihrem Bruder Jakob die Firma Gebrüder Altstädter gegründet hatten, und ihr Erbe Nathan Altstädter, der Sohn von Marx Altstädter. Von ihnen war im letzten Beitrag die Rede.
Gerson Altstädter, der im ersten Adressbuch als Kaufmann und Inhaber einer Manufaktur und Spezerei genannt wird, war 1869 Vorsteher der israelitischen Gemeinde und leitete die Wahlen zum Synagogenrat. Auch 1876 nahm er an den Wahlen teil. Im Adressbuch wird er 1891 noch einmal als Kaufmann genannt, der in der unteren Hauptstraße wohnte. In der dritten Auflage des Adressbuchs erscheint sein Name nicht mehr. Von Familienangehörigen ist nichts bekannt.
An der Wahl der beiden Synagogenräte nahmen 1853 zwei jüdische Bürger namens Heinrich Altstädter teil, 1869 und 1876 erschien nur noch ein Heinrich Altstädter in der Wählerliste. Im ersten Weinheimer Adressbuch von 1882 wird ein Heinrich Altstädter genannt, der mit Ellenwaren handelt, in der Neuauflage 1891 erscheint ein Heinrich Altstädter mit der Berufsbezeichnung Rechtsagent. Er wohnte wohl am Petersplatz als Nachbar der Gastwirtschaft „Zum schwarzen Adler” (später Eisenhandlung Gunßer). Das Adressbuch von 1899 verzeichnet Heinrichs Witwe Röschen, geborene Siegel. Mehr ist von diesen Altstädtern nicht bekannt. Auch nicht von Mathilde Altstädter, die im Amtshaus-bezirk wohnte, mit Putzwaren handelte und wohl Putzmacherin von Beruf war.
Bis 1908 lässt sich dagegen David Altstädter verfolgen. Er wird 1869 erstmals in der Wählerliste der israelitischen Gemeinde genannt und nahm auch 1876 an der Wahl der Synagogenräte teil. Das erste Adressbuch bezeichnete ihn 1882 als Handelsmann, wohnhaft im Großviertel. Nach der Einführung von Straßennamen 1887 hieß die Adresse Hauptstraße 122. Das Haus, in dem erst David Altstädter und später sein Sohn Levi einen Getreide- und Mehlhandel betrieben, wurde nach dem 2. Weltkrieg abgerissen. In dem auf dem Gelände errichteten Geschäftshaus war zuletzt Sport Munk tätig.
Natürlich standen die Namen Altstädter auch in der Mitgliederliste der israelitischen Gemeinde, die dem Grundstein der neuen Synagoge Ehretstraße beigelegt wurde. David Altstädter, 1825 in Weinheim geboren, war mit Friederike Oppenheimer aus Hemsbach, genannt Rickchen, verheiratet. Ihr ältester Sohn Zacharias wurde 1860 geboren und starb im Alter von 21 Jahren. Er ist auf dem Hemsbacher Verbandsfriedhof bestattet wie seine Eltern: David Altstädter starb 1908, Rickchen Altstädter 1911.
Ihr zweiter Sohn Levi ist 1862 in Weinheim geboren. Er war, wie sein Vater, Handelsmann und führte dessen Getreide- und Mehlhandlung weiter. Levi Altstädters erste Ehefrau war Pauline geb. Kaufmann aus Leutershausen. In 2. Ehe war er mit Rosa Hessel verheiratet. Aus dieser Ehe gingen die Kinder Ludwig, Julius, Bertha, Lucie und Alfred hervor, allesamt in Weinheim geboren. [Korrektur: Die Kinder Ludwig, Julius und Bertha waren aus erster Ehe.] Ihr Vater Levi Altstädter starb im Mai 1933 im Alter von 71 Jahren, ihre Mutter Rosa zog 1936 zu ihrer Tochter Lucie nach Frankfurt, wurde 1942 verhaftet und nach Theresienstadt deportiert. Ihr Todesdatum ist der 28. Januar 1943, der Todesort das Konzentrationslager Theresienstadt. Rosa Altstädter wurde 71 Jahre alt.
Über das Schicksal des ältesten Sohnes von Levi und Rosa Altstädter haben wir bereits berichtet. Ludwig Altstädter, 1892 geboren, und seine Frau Karolina, Jahrgang 1893, wurden 1940 nach Gurs deportiert und 1942 in Auschwitz ermordet. Vor ihrem Wohnhaus in der Tannenstraße liegen zwei Stolpersteine. Ihrem Sohn Kurt, 1940 mit den Eltern deportiert, wurde der lebensrettende Wechsel aus dem Lager Gurs auf einen Bauernhof bei Aix-les-Bains ermöglicht. 1945 wanderte Kurt Altstädter nach Chile aus, 1991 nahm er am zweiten Heimattreffen ehemaliger jüdischer Bürger Weinheims teil.
Julius Altstädter, 1894 in Weinheim geboren, heiratete 1935 Erna Mayer (Jahrgang 1901) aus Schifferstadt. Ihre Tochter Ruth kam 1936 in Mannheim zur Welt. Die Familie Altstädter schaffte im Oktober 1939 gerade noch den Sprung in die USA und ließ sich in New York nieder.
Bertha Altstädter, 1896 geboren, heiratete den Kaufmann Eugen Strauss. Die Ehe wurde geschieden. Bertha Strauss lebte bis 1939 als Hausangestellte in Wiesbaden, dann erfolgte der Zwangsumzug in ein sogenanntes Judenhaus. Am 10. Juni 1942 wurde sie, zusammen mit 380 jüdischen Wiesbadenern, nach Lublin deportiert. Ihre Spur verliert sich in den Ghettos und Vernichtungslagern Majdanek und Sobibor. Die Wiesbadener Meldekarte von 1939 erwähnt einen 1925 im pfälzischen Göllheim geborenen Sohn Hans und seine Abmeldung 1940 ins Israelitische Waisenhaus in Mannheim und 1941 nach Frankfurt. Sein weiteres Schicksal ist unbekannt.(Anmerkung: Schicksal des Hans Strauss siehe Eintrag bei der Mutter Bertha Strauss).
Lucie Altstädter, 1901 geboren, lebte bis 1925 bei den Eltern an der Hauptstraße und zog dann nach Frankfurt. Auch ihr Schicksal ist unbekannt.
Das gilt auch für den jüngsten Altstädter-Sohn Alfred, 1902 geboren und nach der Weinheimer Meldekartei 1924 nach Wiesbaden verzogen. Im Stadtarchiv Wiesbaden konnte die Nachfrage nach weiteren Daten nicht beantwortet werden, weil die ältere Einwohnerkartei 1945 durch die Kriegsereignisse vernichtet wurde.
Heinz Keller, veröffentlicht in den "Weinheimer Nachrichten" vom 28.12.2006