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Er war der ungekrönte Werbekönig von Weinheim

Hugo Rothschild, der letzte Besitzer des Kaufhauses Gebrüder Rothschild, hat seine Erlebnisse in Briefen festgehalten

Zwei Tage vor der Reichstagswahl 1924 sahen sich die Weinheimer im Anzeigenteil des „Anzeiger” aufgefordert: „Wählt Gebrüder Rothschild”. Erst beim zweiten Lesen verriet die Verbindung der Schlagworte mit dem Kleingedruckten die zwar wahlunabhängige, aber die Wahlkampfatmosphäre nutzende Aussage der Anzeige: „Wählt zum Einkauf die Firma Gebrüder Rothschild”. Geschäftsinhaber Hugo Rothschild hatte wieder einmal Aufmerksamkeit erregt mit einem Anzeigentext, der seine Ausnahmestellung als Weinheimer Werbekönig betonte. Natürlich wollte Rothschild mit seinen ausgefallenen Ideen (Beispiel: „Sogar auf dem hohen Mars dort oben, Gebrüder Rothschilds Ware loben!”) die Weinheimer Konkurrenz übertreffen, aber im Gesamtinteresse des Weinheimer Einzelhandels ging es ihm auch um die Abwehr der Verheißungen, mit denen Mannheims Kaufhäuser die mobiler gewordenen Weinheimer in die Quadratestadt zu locken versuchten.

Schon ein Vierteljahrhundert vor der Ansiedlung der Kukirol-Fabrik in Weinheim, aber wohl zeitgleich mit Kurt Krisp und seinem „Doktor Unblutig”, nutzte Hugo Rothschild, wie kein anderer in Weinheim, die neuen Möglichkeiten der Zeitungswerbung zum Ausbau des Kaufhauses Gebrüder Rothschild, dessen Leitung er nach der Heimkehr aus dem 1. Weltkrieg von seiner Mutter Amalie übernommen hatte. Seine Brüder Moritz und Siegmund, mit denen er 1909 die Firma Gebrüder Rothschild gegründet und 1912 in die neuen Räume bei Dr. Mittelstraß (heute Schuhhaus Rohr) verlegt hatte, waren in Frankreich gefallen.

1924 stand der inzwischen 38-Jährige an der Hauptstraße in einem harten Wettbewerb um die Gunst der Kunden, die zum Einkaufen von der Bergstraße und aus dem Odenwald nach Weinheim kamen und im Bereich der heutigen Fußgängerzone unter vielen Kaufhäusern und Einzelhandels-Fachgeschäften wählen konnten. Hugo Rothschild setzte in diesem Wettbewerb alle Werbemittel ein, die es damals gab, die aber in Weinheim noch nicht gebräuchlich waren. Rothschild war damit erfolgreich und meinte 1963 in seinem Briefwechsel mit der Weinheimer Stadtverwaltung im Rückblick: „Ich hatte das größte und wohl bekannteste Textilkaufhaus in Weinheim und Umgebung. Meine Zeitungsreklame und meine Schaufensterdekorationen waren erstklassig. Viele Menschen sagten mir, ich hätte Weinheim zu einem guten Geschäftsplatz gemacht”. Dazu trug Rothschild allerdings auch als Vorstandsmitglied der Weinheimer Ortsgruppe im Badischen Einzelhandelsverband bei und durch regelmäßige Teilnahme an den Gemeinschaftsaktionen des Weinheimer Handels.

Hugo Rothschild (1886-1976) war mit Fanny Oppenheimer (1893-1968) verheiratet und die älteren Weinheimer erinnern sich mit Hochachtung daran, dass Frau Rothschild „den ganzen Tag im Geschäft war”.

Nach der nationalsozialistischen „Machtergreifung” bekam auch das Kaufhaus Gebrüder Rothschild zunehmend Schwierigkeiten: „In den Jahren 1933-1938 waren oft SA-Leute vor dem Geschäftseingang, die meine treuen Kunden am Einkauf hinderten. Es wurden mir unglaubliche Schikanen gemacht, neben meinem Geschäft quer über die Straße judenfeindliche Schilder angebracht”. Am Vorabend der Synagogen-Sprengung „versuchten zwei Parteimitglieder 1.000 RM von mir zu erpressen. Am 10. November 1938, morgens 7.15 Uhr, kamen zwei Männer (wahrscheinlich ein hohes Parteimitglied und ein Polizist), durchsuchten im Geschäft meinen Kassenschrank. Da dieselben nicht viel Geld finden konnten, nahmen sie meine Kriegsauszeichnungen und meinen Revolver. Dann durchsuchten diese Herren meine Privatwohnung, scheinbar nach Geld”, erinnerte sich Hugo Rothschild später. Wie alle anderen Männer, die führend in der jüdischen Gemeinde tätig waren, wurde Rothschild noch am gleichen Tag nach Dachau gebracht, nach einigen Wochen aber wieder aus dem Konzentrationslager entlassen, weil er im 1. Weltkrieg Frontsoldat war und weil seine beiden Brüder gefallen waren. Als er aus Dachau zurückkehrte, war das Kaufhaus Gebrüder Rothschild geschlossen und unter erheblichen Verlusten für den bisherigen Inhaber „abgewickelt”.

Die Rothschilds trafen nun Vorbereitungen für die Emigration. Auch darüber hat Hugo Rothschild später berichtet: „Am 30.Juni 1939 wurden meine wunderbaren Möbel, Kleidungsstücke, Haushaltswaren etc. im größten Umzugswagen, der je in Weinheim verschickt wurde, verpackt. Mit Genehmigung der Devisenstelle Karlsruhe wurde alles nach dem Ausland (Rotterdam/Holland) verschickt, nachdem ich vorher bei der Golddiskontbank den verlangten 1.900 RM Goldzoll bezahlt hatte. Später wurde dieser Wagen aus Rotterdam von der Polizei zurückgeholt und in Mannheim versteigert”.

Die Stadt Mannheim erlaubte den Rothschilds am 1. Juli 1939 den Einzug in ein jüdisches Haus. Ihr 16-jähriger Sohn Heinz Ferdinand hatte drei Monate zuvor Deutschland in Richtung Havanna verlassen. Wie viele Juden wähnten sich Hugo und Fanny Rothschild in Mannheim sicher, doch erwies sich diese Erwartung als fataler Irrtum: zusammen mit den 6.500 in Baden, der Pfalz und dem Saarland noch lebenden Juden wurden die Rothschilds am 22. Oktober 1940 in Mannheim verhaftet und nach Gurs verschleppt. Sie durften nur 50 Kilogramm Gepäck und 100 RM an Bargeld mitnehmen. Hugo Rothschild in seinen Erinnerungen: „Alles wertvolle Gepäck mussten wir in Mannheim zurücklassen”. Ende Februar 1941 wurde Rothschild ins Camp des Miles, ein anderes Konzentrationslager, verlegt, seine Frau nach Marseille. Wie die Rothschilds es schafften, der südfranzösischen Hölle zu entkommen und am 15. August 1941 Visa für Amerika zu bekommen, ist nicht bekannt. „Mit Gotteswunder” (Rothschild 1963) kam das Ehepaar Ende August in San Francisco an. In Kalifornien kam es dann auch zur Wiedervereinigung mit dem Sohn Heinz Ferdinand.

Fanny Rothschild starb 1968 im Alter von 75 Jahren, Hugo Rothschild feierte 1976 noch seinen 90. Geburtstag und starb kurz danach.

Heinz Keller, veröffentlicht in den "Weinheimer Nachrichten" vom 29.07.2006

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