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Mit Schrecken, Freude und Hoffnung:

Ein Weinheimer Jude denkt an seine Heimat

von Manfred Oppenheimer, heute Flushing (USA)

Weinheimer Juden, die Kindheit und Jugend in dieser schönen Stadt verbrachten, haben in der Darstellung "Die letzte Synagoge der Stadt Weinheim" eine schwierige, aber auch dankbare Aufgabe übernommen, für die Nachwelt das Innere der Weinheimer Synagoge zu beschreiben. Verschiedene Veröffentlichungen haben bereits den äußeren Bau beschrieben, im Bild gezeigt und verdeutlicht, dass das Gebäude in bevorzugter Lage eine Zierde der Stadt war. Es scheint daher angebracht, auch eine innere Beschreibung vorzunehmen. Damit soll vermieden werden, dass Spuren verwischt werden könnten, die einst in der Passion endeten. Denn auch in Weinheim wurde, wie im übrigen Deutschland, das Judentum vernichtet. Bis zum 10. November 1938 war die Weinheimer Synagoge der Ort jüdischer Frömmigkeit. Hier wurden die Rituale zu Sabbat, Passah, Laubhütten, Roshhaschonah, Jom Kippur und Gesetztestreue verrichtet. Dann führte die brutale Zerstörung der Synagoge zu höllischem Leid in einem Meer von Tränen.

Wird in Anbetracht dieses Geschehens die Vergangenheit je bewältigt werden können? Für meine Antwort auf diese Frage, mit der sich das Judentum in aller Welt beschäftigt, habe ich meinen Freund Daniel Horsch um Unterlagen gebeten. Zunächst habe ich nüchterne Zahlen erhalten, hinter denen unvorstellbares Leid steht. Als die Synagoge 1938 der "Kristallnacht" zum Opfer gefallen war, haben 102 jüdische Bürger Weinheim verlassen: 75 emigrierten nach Nord- und Südamerika, sieben nach Holland, drei nach Südafrika, einer nach Jugoslawien und neun nach Palästina. Noch 73 Weinheimer jüdische Bürger wurden am 22. Oktober 1940 nach Gurs, am Fuß der Pyrenäen in Frankreich, verschleppt. Die meisten überlebten das nicht. Da fragten wir, die überlebenden Juden: Kann dieses Märtyium je vergessen werden? Ich wage heute von einem höchst erstaunlichen, eigentlich unerklärlichen Wunder zu sprechen, soweit es meine Weinheimer Erfahrung betrifft. Es war für uns Weinheimer Juden tröstlich zu erfahren, dass sich in unserer alten Heimat Bürger um Versöhnung bemühten. So war es eine Pionierarbeit, die nicht hoch genug gewürdigt werden kann, dass bereits 1964 der damalige Oberbürgermeister Rolf Engelbrecht, Sohn einer jüdischen Mutter und Verfolgter des Gewaltregimes, sich sehr nachdrücklich um Verständigung und Versöhnung bemühte. Er beauftragte Daniel Horsch, die Schrift zu verfassen: "Sie waren unsere Bürger". Ins Vorwort schrieb Engelbrecht: "Mein Herz und die Herzen aller Bürger begleiten diese Schrift, die trotz allem Geschehen um Liebe für unserer Heimatstadt wirbt". Das war eine einfühlsame Werbung.

Das Echo konnte nicht ausbleiben. Meine Frau hat aus den "Weinheimer Nachrichten" die Ausschnitte gesammelt, die in Briefen aus den verschiedensten Ländern der Zeitung zugegangen waren und dem Verfasser der Schrift verdienten Dank bezeugten. Horsch kannte aus eigener Erfahrung den echten Bürgersinn und die allgemeine Beliebtheit der Weinheimer Juden. Es war für uns eine weitere Ermunterung, als das gut eingeführte Bulletin des Leo-Baeck-Instituts bereits 1964 und das Year Book 1966 in London auf die Veröffentlichung von "Sie waren unsere Bürger" hingewiesen haben.

Unvergessliche Tage

Seidem hat eine Entwicklung eingesetzt, die uns mit Freude erfüllt. Wir denken dabei besonders gern an das Weinheim-Treffen ehemals jüdischer Mitbürger von 1979, als wir Gäste der Stadt Weinheim waren. Welch freudvolle Erschütterungen gabe es beim Wiedersehen, als sich die Brüder und Schwestern aus USA, Holland, Uruguay und Israel in den Armen lagen. Ein späterer Flug brachte Ellen Neu aus Brasilien in ihre alte Heimat. Empfang beim Gemeinderat, Begegnungen mit der Bürgerschaft, Ausfahrten, Besichtigungen und Besuche waren eindrucksvolle Erlebnisse. Die Tage wurden zur unauslöschlichen Erinnerung. Meine Brüder Siegfried und Erwin - Siegfried ist inzwischen fern seiner Heimat verstorben - waren bewegt und ergriffen, ihre Geburtsstadt in solch herzlicher Weise erleben zu dürfen. Fortan tauchten im Familienkreis immer wieder die Gespräche um Weinheim auf. Und wenn in vertrauter Umgebung die Heimat und Weinheim "aufs Tapet" gebracht werden, dann ist es unsere nun 83jährige Seniorin Nelli Heil, verheiratete Neumann. Mit einem beneidenswerten Erinnerungsvermögen weiß sie Geschichten, Episoden und Ereignisse wiederzugeben. Dem Hörerkreis zu aller Freude, wenn da und dort auch mancher Wermutstropfen fällt.

Inzwischen haben viele Weinheimer Bürger Tür und Herz geöffnet und verschiedenen jüdischen Familien in schönster Weise Gastfreundschaft geschenkt, wenn sie wiederholt ihren Urlaub in Weinheim verbracht haben. Auch die "Woinemer Kerwe" ist für manchen zu einem ganz besonderen Anziehungspunkt geworden. Mit meiner Frau war ich auch stolz, in New York die Weinheimer "Eintracht" ´zu hören, zumal wir bei einer Probe während unseres Urlaubs draußen im Müll zugegen sein durften. Wir denken auch an die Ausstellungen, die jüdischen Glauben und jüdisches Brauchtum zum Gegenstand hatten. Im nahen Hemsbach wurde die Synagoge in einfühlsamer Weise wiederhergestellt. Nach Abbruch der alten Hirschschen Fabrik im Gerberbachrtel wurde der neu entstandene Platz mit der dem Altstadtviertel angepaßten Wohnsiedlung "Sigmund-Hirsch-Platz" genannt. Der Rundbrief von Daniel Horsch am Jahresende gibt diesem "1979er Ring" zudem eine feste Klammer. Was ich hier andeute, war ein Brückenschlag zur Versöhnung.

Die Sorgen bleiben

Dürfen wir Juden nunmehr ohne Besorgnis bleiben? Wir stellen mit Beklemmung und Beunruhigung fest, dass sich rechtsradikale Tendenzen in der Bundesrepublik und in unserer alten Heimat breitmachen und ganz allmählich an Boden gewinnen. Da wird deutlich, dass die Epoche der nationalsozialistischen Verbrechen noch nicht in der Geschichte versunken ist. Allzu blauäugig wird da eine gefährliche Entwicklung gesehen. Sind die Erinnerungen an die teuflischen Geschehnisse völlig verblaßt und vergessen? "Verdrängen hält die Erlösung auf. Erinnern bringt sie näher, lautet der Spruch in der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. So hoffen und wünschen wir aus ganzem Herzen, dass in unserer alten Heimat und im deutschen Volk der Antisemitismus keinen Platz mehr finde. Er ist eine seelisch-geistige Krankheit gefährlichster Art. Sie ist mit Fanatismus verbunden und muß als ansteckende Seuche angesehen werden. Ihr lieben Weinheimer, schützt Euch vor dieser Krankheit, seid widerstandsfähig!. Die Zuneigung, die wir bislang in schönster Weise erfahren haben, läßt uns hoffen.

(Hilde und Manfred Oppenheimer besuchten auch in diesem Jahr (1988) Weinheim und die Gedenktafel für die Synagoge. Ihr Großvater Samuel Oppenheimer war einst aus Birkenau nach Weinheim gekommen und hatte sein erstes Geschäft in der Kühgaß, der heutigen Lindenstraße. Vater Max eröffnete 1923 neben dem "Grünen Baum" seine Metzgerei, die er 1935 verkaufte. Bis zur Auswanderung 1939 war Max Oppenheimer in den Konzentrationslagern Dachau und Buchenwald.)

Manfred Oppenheimer, am 09.11.1988 in den Weinheimer Nachrichten erschienen.

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