Die Sorge um die Mutter mit dem Leben bezahlt
Friederike Oppenheimer und ihre Mutter wurden deportiert, Adolf Oppenheimer erlebte die Irrfahrt der „St. Louis”
Sie wollte ihre betagte Mutter nicht allein lassen, blieb in Weinheim und wurde an diesem schändlichen 22. Oktober 1940 zusammen mit ihr verhaftet und nach Gurs deportiert. Für beide Frauen war das das Todesurteil: Friederike Oppenheimer, geborene Lehmann, wurde am 10. August 1942 nach Auschwitz verschleppt und umgebracht. Sie wurde 57 Jahre alt. Ihre Mutter Emma Lehmann, geborene Götter, war 84 Jahre alt, als die unmenschlichen Haftbedingungen in Gurs sie am 11. Januar 1943 töteten.
Friederike Lehmann war in Weinheim aufgewachsen. Ihr Vater Gabriel Lehmann war als Viehhändler tätig und wohnte mit seiner Familie an der unteren Hauptstraße, nahe dem heutigen Standort des Rodensteinerbrunnens. Gabriel Lehmann starb im Januar 1935. Er wurde 86 Jahre alt.
In Weinheim hatte Friederike Lehmann 1906 den aus Buchen stammenden Kaufmann Adolf Oppenheimer geheiratet und war mit ihm in den Odenwald gezogen. Nach dem Tod des Vaters war Friederike Oppenheimer mit ihrem Mann zu Jahresbeginn 1939 wieder nach Weinheim gekommen, um der Mutter beizustehen.
Adolf Oppenheimer entschloss sich als Sechzigjähriger zur Emigration. Am 13. Mai 1939 ging er in Hamburg an Bord des Hapag Lloyd-Dampfers „St. Louis”. Er war einer von 937 jüdischen Passagieren, die auf der Flucht vor der Verfolgung in Deutschland waren und in Kuba die Einreisegenehmigung für die USA abwarten wollten. Die meisten von ihnen besaßen nur Touristenvisa und keine gültigen Einreisepapiere für Kuba. Von der kubanischen Regierung wurden diese Visa, die vom Direktor der Einwanderungsbehörde eigenmächtig ausgestellt worden waren, für ungültig erklärt. Alle Verhandlungsbemühungen jüdischer Organisationen änderten am kubanischen Nein nichts.
Die „St. Louis” kreuzte danach vor Florida, doch da auch die USA, das nächstgelegene Emigrationsziel, das Schiff abwiesen, erhielt Kapitän Schröder aus Hamburg Order, die Rückfahrt anzutreten. Aus Angst vor der Deportation in Konzentrationslager gerieten die Passagiere daraufhin in Panik und drohten mit Massenselbstmord und Meuterei. Erst kurz vor der Ankunft in Hamburg eröffnete sich durch Schröders Bemühungen die Möglichkeit, die bedrohten Passagiere am 17. Juni 1939 in Antwerpen von Bord gehen zu lassen. Etwa ein Viertel der Passagiere wurde im rettenden England, die anderen in Belgien, Frankreich und den Niederlanden verteilt, wo sie während der deutschen Besatzung wieder in die Gewalt der Nazis gelangten und später in die Vernichtungslager gebracht wurden.
1957 wurde Kapitän Gustav Schröder (1885-1959) „für Verdienste um Volk und Land bei der Rettung von Emigranten” mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Vom Staat Israel wurde er in Yad Vashem postum in den Kreis der „Gerechten unter den Völkern” aufgenommen. Die Hansestadt Hamburg benannte eine Straße nach ihm und seit 2000 gibt es an den Landungsbrücken eine Gedenktafel.
Adolf Oppenheimer hat die Irrfahrt des Flüchtlingsdampfers miterlebt. Wie sie sich auf sein Schicksal auswirkte, ist nicht mehr genau nachzuvollziehen. Während die Volkskarteikarte in Weinheim nur Oppenheimers Emigration am 11. Mai 1939 nach Havanna auf Kuba vermerkt, ist aus dem Buch „Die jüdische Gemeinde Buchen” zu erfahren, dass Adolf Oppenheimer nach der Irrfahrt in die USA auswandern konnte. Mehr ist über ihn nicht bekannt.
Seine Frau Friederike Oppenheimer bezahlte das Herzensbedürfnis, ihre betagte Mutter nicht allein zu lassen, mit dem Tod. Auch für sie fand der Weinheimer Beamte, der die Volkskarteikarten im Rathaus führte, nur den menschenverachtenden Vermerk: „unbekannt, wohin abgeschoben”.
Heinz Keller, veröffentlicht in den "Weinheimer Nachrichten" vom 07.09.2006