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Die letzten Kräfte für das Heimattreffen

Alfred Braun arbeitete vom Rollstuhl aus für das Wiedersehen mit der unvergessenen Heimatstadt und alten Freunden

28 Jahre liegt das erste Heimattreffen ehemaliger jüdischer Bürger Weinheims inzwischen zurück, doch bei allen, die beim Begrüßungsabend am 28.Mai 1979 in der Fuchs’schen Mühle dabei waren, bleibt unvergessen, wie die Braun, Oppenheimer, Neu und Altstädter das Weinheim-Lied von Peter Trautmann sangen: „Wer kennt nicht das schöne Städtchen, an der Bergstraß’ wohl bekannt”. Als es Hermann Rössling und die Stadtkapelle intonierten, stimmten alle mit ein und die Tränen in den Augen der aus aller Welt nach Weinheim Gekommenen waren ein gleichzeitig beklemmender wie beglückender Beweis, dass den 40 Jahre zuvor aus der Heimat Verdrängten ein romantisches Verhältnis zu Weinheim geblieben war.

Es ließ das Schlimme nicht vergessen, aber es machte an diesem ersten Abend und in den ihm folgenden Tagen den Weg frei für lebendige Begegnungen und für das beide Seiten befreiende Wort, das Alfred Braun aus dem Rollstuhl heraus sprach: „Man kann nicht vergessen, was geschehen ist, aber man kann es verzeihen”.

Der ältere der beiden Söhne von Frieda und Adolf Braun, die ihre Jugend an der Hauptstraße und auf dem Bender’schen Institutshof verbracht hatten, war zusammen mit seinem Bruder Ernst der Motor dieses ersten Heimattreffens. Trotz seiner Behinderung bemühte sich Alfred Braun intensiv um das Wiedersehen mit der alten, unvergessenen Heimat. „Er betrachtete diese Reise und das Treffen alter Freunde, mit Verwandten und Bekannten als einen der Höhepunkte seines Lebens, ganz besonders, weil er die Initiative hatte, diese Reise zustande zu bringen”, schrieb Ilse Braun im Januar 1980 an Oberbürgermeister Theo Gießelmann. Da war Alfred Braun nach dreiwöchigem Aufenthalt im Krankenhaus von Atlanta City im 69.Lebensjahr verstorben.

Seit seiner Rückkehr hatte er – so schilderte es seine Witwe – „fast täglich von den schönen Tagen in Weinheim gesprochen”. Für den Schwerkranken war die Teilnahme an diesem Treffen ein Wunder und eine Gnade zugleich: „Wir wussten vor der Reise, dass wir vor einem außerordentlich großen Ereignis stehen, hätten aber nie geglaubt, dass wir so herzlich in der alten Heimat willkommen geheißen würden”, hatte Braun am 5. Juni 1979 in seinem Abschiedswort im Bürgersaal des Schlosses gesagt. Und zu Weihnachten 1979 hatte er an Oberbürgermeister Gießelmann, seinen engagierten Partner bei der Vorbereitung des Heimattreffens, geschrieben: „Wir zehren von diesem Besuch nicht nur für Tage, Wochen und Monate, nein für Jahre. Er wird uns unvergessen bleiben”.

Alfred Georg Emil Braun, 1911 in Weinheim geboren, hatte das Realgymnasium besucht und erinnerte sich ein Leben lang an seinen Lehrer Dr. Ernst Kappler („Ein sehr feiner Mensch”), aber auch an seine Mitschüler Justus Kaerner, Henny von Arndt, Alfred Wuckel, Klaus Huegel, Karl Pflästerer und Albrecht Freudenberg. Als 22-Jähriger emigrierte Braun am Jahresende 1933 in die USA. Beim Heimattreffen erzählte er, wie schwierig und oft erniedrigend der Neubeginn in Amerika war. Auch Alfred Braun diente, wie sein Bruder Ernst, in der US Army. Während des Krieges kommandierte er ein Internierungslager in Bozen und hatte eines Tages eine Begegnung, die ihn tief berührte. Darüber hat Braun in einem Brief an Oberbürgermeister Gießelmann im Februar 1979 berichtet: „Bei meiner ersten Inspektion traf ich Espedite (Babo) Bertolini. Als erstes sorgte ich dafür, dass er ein warmes Bad bekam, frische Kleidung und eine gute Mahlzeit. Espedite ging zwei Jahre lang mit mir in die Volksschule. Er konnte damals fast kein Deutsch sprechen. Als er mich nun als Amerikaner wiedersah, heulte er”. Espedite Bertolini kehrte aus dem 2. Weltkrieg nach Weinheim zurück und betrieb eine Südfrüchte-Großhandlung.

Während Ernst Braun in der Panzerarmee von General George S. Patton an der Invasion 1944 teilgenommen und schon kurz nach Ostern 1945 Weinheim wiedergesehen hatte, besuchte Alfred Braun 1946 erstmals die Heimatstadt und wohnte bei seinem Schulfreund Albrecht Freudenberg, einem Sohn von Walter Freudenberg. Später zeigte er seiner Frau und seiner Tochter Weinheim, das er in Erinnerung an das in Jugendjahren gesungene Lied „Es muss ein Stück vom Himmel sein” 1979 in seiner Dankes- und Abschiedsrede „ein Stück vom Paradies” nannte.

Heinz Keller, veröffentlicht in den "Weinheimer Nachrichten" vom 02.05.2007

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