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In die Erinnerung zurückgerufen

Die letzte Synagoge der Stadt Weinheim

von Ernst F. Braun (Atlanta) und Dr. Friedrich Maier (Greenbelt/Maryland)

Ein halbes Jahrhundert nach der sogenannten Reichskristallnacht muß heute noch jeder erschrecken über die Dunkelheit, die damals über das deutsche Volk hereinbrach. Das Erschrecken mahnt, das Wissen um diese Vorgänge wachzuhalten und dem Vergessen vorzubeugen.

Anstelle einer Synagoge befindet sich heute eine Tafel mit der Inschrift: "Hier stand die Synagoge der israeltischen Gemeinde Weinheim - Sie wurde am 10. November 1938 unter der Herrschaft der Gewalt und des Unrechts zerstört" am Gebäude der Volkshochschule, Ecke Bürgermeister-Ehret-Straße / Luisenstraße. Leider findet man diese Tafel nicht am richtigen Platz, nämlich Bürgermeister-Ehret-Straße 5, wo auf dem Grundstück der einstigen Synagoge heute ein Wohnhaus steht. Es wäre viel treffender gewesen, das Wort "Verbrechen" anstelle des Wortes "Unrecht" in der Inschrift zu verwenden und es ist außerordentlich bedauerlich, dass die zuständigen Weinheimer Behörden seinerzeit die Erlaubnis für die Errichtung eines Wohnhauses gaben.

Ein Gang durch die Synagoge

Ein jüdischer Glaubensgenosse, Architekt Max Seckbach aus Frankfurt, wurde 1903 mit der Ausarbeitung und Ausführung des Bauplanes der 1906 dann eingeweihten neuen Synagoge betraut. Die Erd- und Maurerarbeiten wurden von Weinheimer Baumeister Friedrich Reiboldt ausgeführt.

Die neue Synagoge stand an der Ostseite der Bürgermeister-Ehret-Straße. Das steinerne Portal mit schließbarem Eisengitter war im selben Rundbogenstil gebaut wie das Hauptportal mit den geschnitzten Doppeltor. Etwa 18 Steinstufen führten von der Straße zum Gotteshaus hinauf. Ein kleiner Weg umspannte die Synagoge, die etwa 10 Meter vom Bürgersteig entfernt lag. Über dem Hauptportal war eine steinerne Gebetstafel angebracht. Über dem Tor an der Straßenfassade war ein großes, rundes Fenster aus farbreichem Bleiglas.

Nach später rabbinischer Tradition sollte die Synagoge an der höchsten Stelle eines Ortes liegen. Dieser Brauch ließ sich in der Praxis freilich meist nicht durchführen. Zur Gebetsrichtung bildete sich allgemein der Brauch aus, in Richtung Jerusalem zu beten.

Durch das Portal erreichte man eine Vorhalle. Durch eine weitere Tür betrat man das Untergeschoß, die eigentliche Synagoge für die Männer. Im babylonischen Talmud findet sich die Forderung der Trennung von Frauen und Männern. Auf beiden Seiten der Vorhalle befanden sich Treppen, die zu drei Frauenemporen führten. Auf der Westseite des Gotteshauses befanden sich außer den Sitzplätzen für die Frauen einige Bänke für den Synagogenchor. Die Pfeifenorgel, von Voigt und Söhne (Durlach) erbaut, und der gemischte Chor verschönerten den Gottesdienst am Freitagabend, Sabbatmorgen und an den jüdischen Feiertagen. Ursprünglich befand sich auf der Seite der Orgel ein Blasebalg. In späteren Jahren wurde der Fußbetrieb durch einen elektrischen Motor ersetzt.

Prunkstück des Gotteshauses

Ein Hauptgang und zwei Seitengänge führten zum Vorlesepult (Almenor), fünf breite Stufen aus weißem Mamor hinter dem Vorlesepult zum Prunkstück der Synagoge, dem Thoraschrein (Aron Hakodesch). Hier, an der Ostinnenwand, stand man vor dem Brennpunkt des Gotteshauses. Vier kleine Säulen unterstützen wieder einen Rundbogen, gekrönt von zwei Gebotstafeln. Hinter dem schönen Samtvorhang war der heilige Schrank, in dem die Thorarollen aufbewahrt wurden. Für die verschiedenen Feiertage verwendete man jeweils einen anderen Vorhang. An Sabbat und an den beiden Gottesdiensten während der Woche sowie an allen Feiertagen wurde aus den Thorarollen vorgelesen.

Über dem Vorlesepult hing das ewige Licht. Links vom Thoraschrein stand ein neunarmiger Kerzenleuchter (Menorah), der zur Feier des Chanukkahfestes benutzt wurde. Auf der rechten Seite des Vorlesepults, an der Wand der Südseite der Synagoge, war eine Tafel angebracht mit den Namen der im Ersten Weltkrieg gefallenen, patriotischen jüdischen Soldaten. Obwohl diese tapferen Männer ihr Leben für das Vaterland geopfert hatten, konnten die Hinterbliebenen dem Mord der Hitlerjahre nicht entrinnen.

Der linke Eingangsgang führte zu einem kleinen Umkleideraum, in welchem Vorbeter und Kantor Talar und Gebetsmantel (Talis) aufbewahrten. Ebenso diente dieser Raum als Lagerraum für Kulturgegenstände, Bücher, Noten, Wein und Kerzen.

Neuislamische Elemente

Neuislamische Elemente prägten das Äußere und Innere der Synagoge. Im Inneren waren die reichgeschmückten Säulen und Bogen nach dem Vorbild der Alhambra im spanischen Granada gestaltet. Neuislamische Elemente prägten auch das Äußere der Synagoge. Die flach gewölbte , runde Decke zeigte einen traditionellen, blauen, mit Sternen übersäten Himmel. An der Straßenseite flankierten zwei kleine Türmchen mit kuppelartigen Aufsätzen die graue, verputzte Fassade. Den Höhepunkt des Gebäudes bildete ein Dom, bedeckt von einer sechsseitigen Kuppel und gekrönt von einem Davidstern. Der Dom hatte kleine Fenster, die das Rundmotiv wiederholten.

Zehn religionsmündige, männliche Personen mußten anwesend sein, um manche Gebete und insbesondere die Thoraabschnitte vorzutragen. Diese beschlußfähige Anzahl nannte man ein Minjan. Der maurische Stil dieser Synagoge war leicht zu erkennen und ein Beweis, dass die jüdische Gemeinde Weinheim von Marnen in Spanien abstammte. Die jüdische Gemeinde Weinheim hatte im Jahre 1933 etwa 200 Mitglieder. Die Synagoge hatte 250 Sitzplätze.

Währen der "Reichskristallnacht" 1938 wurde die Synagoge, zusammen mit Hunderten anderer jüdischer Gotteshäuser in Deutschland, von den Nationalsozialisten kurz und klein geschlagen. Das Gebäude wurde gesprengt. Die SA-Führerschaft hatte der Feuerwehr ein Löschverbot erteilt. Die zertrümmerte Synagoge wurde dann auf Kosten der kleinen jüdischen Gemeinde abgebrochen.

Ernst F. Braun und Dr. jur. Friedrich Maier, am 09.11.1988 in den "Weinheimer Nachrichten" veröffentlicht.

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