Der Vater und die Freundin im Visier der Gestapo
Vernehmungsprotokoll ist erhalten / 1944 geriet Karl Heinz Klausmann in die Fänge von Barbie, des "Schlächters von Lyon"
Am 6. Oktober 1942 informierte ein V-Mann der Abwehrstelle Wiesbaden die Geheime Staatspolizei in Mannheim, dass der Adoptivvater des am 4. Mai geflohenen Karl Heinz Klausmann in Weinheim lebe, Näheres über die Flucht wisse und auch Personen kenne, die die Flucht begünstigt hätten. Die Gestapo beauftragte nun die Weinheimer Kriminalpolizei mit der Vernehmung von Camill Klausmann (71). In Anwesenheit eines Abwehroffiziers fand diese Vernehmung am 26. November 1942 statt.
Das ausführliche Protokoll darüber findet sich in der Dokumentensammlung zu Dr. Hans-Joachim Fliedners Buch "Die Judenverfolgung in Mannheim 1933-1945".
Bei der wohl mehrstündigen Vernehmung musste sich Camill Klausmann zur Herkunft von Karl Heinz, zu Adoption, Schulzeit und Konfirmation, zur Lehrzeit in Achern und der Tätigkeit auf der Weinheimer Hühnerfarm Fornoff äußern. Aus den Formulierungen der "Vernehmungsniederschrift" könnte man den Eindruck gewinnen, dass sich die mit der Bekämpfung politischer Gegner beauftragten Beamten der Gestapo mit Camill Klausmann zu einem freundlichen Gespräch am Kamin getroffen hätten. Bei Fragen nach den Fluchtvorbereitungen, den Hintermännern und dem geplanten Fluchtweg ist das aber eher nicht anzunehmen. Sicherlich nicht ohne Not bestätigte Vater Klausmann das Verhältnis seines Sohnes mit dem Mädchen aus Bonsweiher und berichtete, dass die Freundin von Karl Heinz am Abend vor der Flucht noch einmal nach Weinheim gekommen war, um Abschied zu nehmen.
Für die junge Frau hatte das Vernehmungsergebnis schlimme Folgen: sie wurde bereits am nächsten Tag in der Wohnung ihrer Eltern festgenommen und ins Gerichtsgefängnis Mannheim eingeliefert. Die Gestapo warf ihr vor, mit dem Juden Karl Heinz Klausmann ein intimes Verhältnis gehabt zu haben.
Damit hätten die beiden jungen Leute gegen das mit den Nürnberger Gesetzen seit 1935 geltende "Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" verstoßen, das "außerehelichen Verkehr zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes" verbot und mit Gefängnis oder Zuchthaus bedrohte. Nach allgemeiner Praxis dürfte Klausmanns Freundin für diese "Rassenschande" mit Gefängnis und anschließender Einweisung in ein Konzentrationslager bestraft worden sein, bekannt ist das aber nicht.
Die junge Frau hat überlebt, will aber über diese schlimme Zeit nicht mehr sprechen. Auch gegen den flüchtigen Karl Heinz Klausmann erstattete die
Gestapo-Außendienststelle Mannheim am 2. Dezember 1942 Strafanzeige wegen Vergehens gegen das "Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes" und außerdem wegen Devisenvergehens.
Der "Fall Klausmann" schien im Juni 1944 erledigt, als der Kommandeur der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes in Lyon an den Oberstaatsanwalt in Mannheim berichtete, der Jude Karl Heinz Israel K. sei am 2. Mai 1944 "bei einem Einsatz gegen ein Terroristenlager in der Gegend von Belmont,
Dep. Loire", festgenommen worden. Am 20. Mai 1944, "als er bei einem erneuten Einsatz den Weg zu einem anderen Terroristenlager zeigen wollte, ergriff er die Flucht und wurde dabei erschossen". Unterzeichnet ist dieses ebenfalls bei Fliedner veröffentlichte Schreiben an den Mannheimer Oberstaatsanwalt von SS-Hauptsturmführer Klaus Barbie. Der als "Schlächter von Lyon" berüchtigte Barbie war seit November 1942, seit dem Einmarsch deutscher Truppen in das von der Vichy-Regierung verwaltete, bis dahin unbesetzte Südfrankreich, Chef der Gestapo in Lyon und ging mit unglaublicher Grausamkeit gegen Juden und
Widerstandskämpfer vor. Bis 1944 war Barbie in Südfrankreich für die Folterung und Ermordung von Mitgliedern der Résistance verantwortlich. Über die Zeit
zwischen Klausmanns Flucht 1942 aus Weinheim und seiner Verhaftung 1944 in der Nähe von Belmont de la Loire war lange nichts bekannt.
Eine Reise von Professor Dr. Hans-Joachim Maier, des Klausmann-Biografen im
Schriesheimer Jahrbuch, brachte zumindest für die Zeit ab Herbst 1943 neue Informationen über Karl Heinz Klausmann, der sich nach seiner Ankunft im unbesetzten Frankreich der Résistance, der französischen Widerstandsbewegung gegen die deutsche Besatzungsmacht und gegen die mit ihr zusammenarbeitende Vichy-Regierung, angeschlossen hatte.
Die Erkenntnisse, die Professor Maier aus Gesprächen mit ehemaligen Widerstandskämpfern, die Klausmann kannten, gewonnen und im Schriesheimer Jahrbuch 2005 veröffentlicht hat, werden den letzten Teil der Erinnerungen an Karl Heinz Klausmann ausfüllen.
Heinz Keller, erschienen in den "Weinheimer Nachrichten" vom 29.09.2007