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"Der badische Preuß"

Stadtgeschichte: Der Weinheimer Anwalt Dr. Moritz Pfälzer gab Badens Juden eine Verfassung

Seit 1809 besteht die Israelitische Religionsgemeinschaft Baden (IRG). Vor der Zerschlagung des jüdischen Lebens durch die Nationalsozialisten lebten in Baden mehr als 24000 Juden in 123 Gemeinden. Eine davon war Weinheim.

Heute gehören zehn wieder erstandene Gemeinden mit 5000 Mitgliedern zur IRG Baden. Ihr Organ ist der Oberrat der Israeliten Badens mit gegenwärtig 19 Delegierten. Dem Vorstand der IRG obliegt die Innen- und Außenvertretung der Religionsgemeinschaft, deren originäre Aufgabe es ist, die Ausübung der jüdischen Religion in den zehn Gemeinden zwischen Konstanz und Mannheim zu gewährleisten.

Die aktuelle Satzung der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden bestimmt als Zweck und Aufgabe "die Zusammenfassung und Betreuung aller im Landesteil Baden bestehenden israelitischen Gemeinden und deren Mitglieder in religiöser und sozialer Hinsicht". Die heutige IRG-Satzung fußt in wesentlichen Aussagen auf der 1922 von der badischen Synode verabschiedeten Verfassung der badischen israelitischen Religionsgemeinschaft. Sie war vom stellvertretenden Vorsitzenden des Oberrats, dem Weinheimer Rechtsanwalt Dr. Moritz Pfälzer, erarbeitet worden und hat dem Verfasser den Ehrennamen "der badische Preuß" eingebracht. Seinen Verfassungsentwurf vertrat Dr. Pfälzer am 18. Dezember 1922 vor der Synode. Er stellte im Paragraphen 1 fest, "dass die Religionsgemeinschaft auf dem historischen Judentum und dem überlieferten Religionsgesetz fußt". Damit solle aber in keiner Weise Stellung genommen werden zu den religiösen Fragen, räumte Dr. Pfälzer Bedenken aus: die Religionsgesetze seien Ausgangspunkt für alle religiösen Richtungen und auch in Zukunft werde niemand daran gehindert, dem Prinzip der Weiterentwicklung der Religion zu huldigen. Auch für einen zweiten Schwerpunkt der Synode 1922 hatte Dr. Pfälzer eine wichtige Vorarbeit geleistet mit seiner Denkschrift "Zum Entwurf eines Lehrplanes für den israelitischen Religionsunterricht in Baden". Berthold Rosenthal hat in seiner 1927 erschienenen "Heimatgeschichte der badischen Juden" nachdrücklich anerkannt, dass Dr. Pfälzer "vom Standpunkte eines Nichtschulmannes diese wichtige Frage eingehend behandelte und das, was die religiösen Verhältnisse und Bedürfnisse erfordern, klar und überzeugend darlegte".

Mitglied im Bürgerausschuss

Dr. Moritz Pfälzer, der in Weinheim zum fortschrittlichen Bürgertum zählte und von 1926 bis zur Gleichschaltung für die Deutsche Demokratische Partei (DDP) im Bürgerausschuss saß, vertrat seine liberale Gesinnung auch als stellvertretender Vorsitzender des Oberrats neben dem Karlsruher Anwalt Dr. Moritz Straus und als Stellvertreter des Präsidenten der Synode, des Mannheimer Bankiers Max Goldschmidt.

Seit 1895 war Dr. Moritz Pfälzer mit dem jüdischen Mannheimer Rechtsanwalt Dr. Ludwig Frank eng befreundet. Aus Pfälzers Nachlass sind 25 Briefe und Postkarten von Frank aus den Jahren 1896 bis 1911 erhalten, die im New Yorker Leo Baeck Institute verwahrt werden. In ihnen sind auch (sonst durchaus seltene) Äußerungen Franks zu jüdischen Fragen enthalten. Am 4. Februar 1907, dem Jahr, in dem er als Abgeordneter unseres Wahlkreises für die SPD in den Reichstag gewählt wurde, schrieb Frank an Pfälzer: "Das Gefühl der Zusammengehörigkeit mit meinen Stammesgenossen wird bei mir mit den Jahren nicht schwächer, sondern stärker und tiefer". Ein Jahr später schrieb Ludwig Frank, den Karl Otto Watzinger in seinem Buch "Ludwig Frank. Ein deutscher Politiker jüdischer Herkunft" zu den führenden Persönlichkeiten innerhalb der SPD vor dem Ersten Weltkrieg zählt, an seinen Freund Moritz Pfälzer: "Deine temperamentvollen Artikel habe ich mit großer Freude gelesen. Ich habe bisher als Nichtbenutzer irgendeines Gebetsbuches eine begreifliche Scheu gegen die Parteinahme in dieser Sache gehabt. Die Frage, die zu beantworten ist, wurzelt in dem Problem der Assimilierung. Wer das jüdische Volkstum erhalten will, wird gegen die Änderung ehrwürdiger, wenn auch barocker Ritualien sich wenden müssen. Deine Ausführungen sind klar und warm und haben viel Überzeugungskraft. Wer von uns hätte gedacht, dass ein großer Teil der heranwachsenden Generation wieder konservativ wird? Wie lang ist's her, seit das Schiff unserer Studentenschaft noch mit stolzen liberalen Segeln gefahren ist? Such is life!".

Die Korrespondenz zwischen Frank und Pfälzer sagt aber auch viel aus über die freundschaftlichen Beziehungen der beiden. Die Postkarten enthalten oft nicht mehr als Verabredungen, etwa zur gemeinsamen Silvesterfeier 1901 in Franks neuer Mannheimer Wohnung: "Lieber Moritz! Also nochmals - morgen abend acht Uhr bist Du bei mir (Ratskeller, eine Treppe hoch) und erwartest beim Becherlupf des Jahres Ende". Im August 1905 schickte Frank eine Postkarte als "Quittung" nach Weinheim, auf der er "dankend bescheinigt": "Von Frau Laura Pfälzer aus Weinheim, mit ehemännlicher Ermächtigung, 1 Käskuchen - sage und schreibe einen großen, guten Käskuchen - mit offenen Armen empfangen zu haben". Unterzeichnet ist die Quittung mit "Dr. Ludwig Frank, Brecher des linken Beines". Frank hatte sich kurz zuvor beim Sturz in seiner Wohnung das linke Bein gebrochen. Der Reichstagsabgeordnete, ein Freund auch von Theodor Heuss, ist als 40-jähriger Teilnehmer am Ersten Weltkrieg bereits am 3. September 1914 in Lothringen gefallen.

Heinz Keller, erschienen in den "Weinheimer Nachrichten" vom 21.08.2008

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