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Das Kaufhaus Jakob Rothschild wäre heuer 150 Jahre alt

Wolf Rothschild führte es bis 1929 und liebte zugleich die alten Schriften / Von seinen vier Töchtern erlangte Paulina Weltruhm als Konzertpianistin

Weinheims erstes Textilkaufhaus – oder wie es damals hieß: Erstes Weinheimer Kleidermagazin - wurde 1856 von Jacob Rothschild am Steinweg, der heutigen Hauptstraße, eröffnet. Ohne die Schrecken des „Dritten Reichs” könnte es heuer sein 150-jähriges Bestehen feiern. Doch die Firmengeschichte des Kaufhauses Jakob Rothschild war bereits nach 79 Jahren zu Ende, als das „Hakenkreuzbanner”, Hetzblatt der nordbadischen NSDAP, am 13. August 1935 mit unverhohlener Genugtuung aus Weinheim meldete: „Wieder einer weniger. Sicherem Vernehmen nach wird der Jude Maier, Inhaber der Firma Jakob Rothschild, demnächst über den Ozean auswandern”.

Ein frommer Mann

Wolf Schimon Rothschild (1846-1929) war der älteste Sohn des Firmengründers Jakob Rothschild (1817-1893). Von 1909 an, als sich sein jüngerer Bruder Ferdinand aus Gesundheitsgründen von der gemeinsamen Geschäftsführung zurückzog, führte er das Manufaktur- und Konfektionshaus in der Hauptstraße (heute Modehaus Zeumer) allein. Textilkaufmann war eigentlich nicht sein Berufsziel gewesen. Wolf Rothschild wollte Theologie studieren, doch der väterliche Wille stand gegen seine Neigung. Die stille Freude am Studium des alten Schrifttums ist ihm aber zeitlebens erhalten geblieben. An seinem 80. Geburtstag wurde Wolf Rothschild vom Bezirksrabbinat Heidelberg der Titel eines „Chawer”, eines Freundes, zuerkannt, den nur Juden erhalten konnten, die sich durch das Studium der Bibel und durch einen frommen jüdischen Lebenswandel ausgezeichnet hatten. Neun Jahre nach dem Tod seiner Frau Theresia (Zerla) Rothschild, geborene Mayer, verstarb Wolf Rothschild. Der Mannheimer Stadtrabbiner Dr. Oppenheimer nannte ihn an der Bahre einen „wahrhaft Frommen, der ein Priester war, wenn auch nicht berufsmäßig, aber im idealen Sinn”.

Wer war sein Nachfolger …

In der Todesanzeige wurde er als Senior der Firma Jakob Rothschild bezeichnet. Wer seine Erben waren, kann bei den spärlichen Informationen, über die das Stadtarchiv nach gezielter Aktenvernichtung während des „Dritten Reichs” noch verfügt, nicht geklärt werden. Es war wohl nicht der Textilkaufmann Siegfried Bergen, Ehemann der Rothschild-Tochter Betty und nach dem Weinheimer Adressbuch von 1913 zusammen mit seinem Schwiegervater Wolf Rothschild Inhaber des Kaufhauses Jakob Rothschild. Denn Siegfried Bergen gründete in den 20-er Jahren in der Mitte der heutigen Fußgängerzone (jetzt Tchibo) ein Fachgeschäft für Konfektion, Stoffe und Wäsche. Nach einer Modenschau schrieben die Weinheimer Nachrichten 1927: „Weinheim wird Großstadt! Was man sonst nur in Frankfurt, Mannheim oder Karlsruhe zu sehen bekam, bot man uns nun auch hier in Weinheim.”

Es gibt Weinheimer, die sich erinnern können, dass die Schwester der international bekannten Konzertpianistin Paulina Rothschild das Kaufhaus Jakob Rothschild geführt hat. Dabei könnte es sich nur um Sophia, die älteste der vier Rothschild-Töchter, gehandelt haben. Denn Betty Rothschild war mit Siegfried Bergen verheiratet, zunächst Mitinhaber des Kaufhauses Jakob Rothschild, später Besitzer des Modehauses Bergen, und Frieda, die Jüngste, führte zusammen mit ihrem Mann Adolf Braun das regional bekannte Sport- und Bekleidungshaus Braun (später Delert und Losert, heute Family). Sophia hatte eine kaufmännische Ausbildung und arbeitete als Prokuristin, möglicherweise im elterlichen Geschäft.

… und wer der „Jude Maier”?

Doch wer war dieser Jude Maier, dessen Auswanderung das Hakenkreuzbanner im August 1935 voraussagte? Vielleicht weiß das noch ein WN-Leser? Man könnte daran denken, dass einer der drei Söhne von Hauptlehrer Marx Maier und seiner Frau Bertha, geborene Rothschild, der vom HB zitierte „Jude Maier” war: der Kaufmann Georg Alfred Maier (1936 Emigration nach Holland), der Rechtsanwalt Friedrich Hermann Maier (1937 Emigration in die USA) oder der Optiker Otto Albert Maier (1936 Emigration nach Santiago de Chile). Nach den Unterlagen des Einwohner-Meldeamtes hat allerdings kein Kaufmann aus der Familie Marx Maier Ende 1935 oder Anfang 1936 Weinheim verlassen. Es darf also weiter gerätselt werden.

Die große Rothschild

Die bekannteste unter den vier Töchtern von Wolf und Zerla Rothschild war [P422:Paulina. In Alfred Einsteins „Das neue Musiklexikon” (1926) kann man über die 1884 geborene Konzertpianistin und Komponistin lesen: Sie „wurde nach anfänglichem Unterricht in ihrem Heimatstädtchen Schülerin von Wilhelm Bopp in Mannheim, des nachmaligen Direktors der k.u.k. Akademie der Tonkunst in Wien. Nach Absolvierung ihrer Studien an der Hochschule für Musik in Mannheim, kam sie zuerst zu Professor Ordenstein nach Karlsruhe, dann zu Alfred Hoehn nach Frankfurt und zu Carl Friedberg in Köln, in späteren Jahren zu Max von Paur. Schon früh verlegte sie sich auf das Gebiet der Klavierkammermusik (angeregt hierzu von Professor Bopp) und ist diesem Spezialgebiet auch treu geblieben. Seit 1924 hat sie sich mit Gösta Andreasson (Busch-Quartett) und dem Violoncello-Virtuosen Hans Bottermund zu einem Trio vereinigt.”

Auch Joseph Walk bezeichnete in den 1988 vom Jerusalemer Leo Baeck Institut herausgegebenen „Kurzbiographien zur Geschichte der Juden 1918-1945” Paulina Rothschild als „bedeutende Komponistin und Pianistin”, die unter anderem den 127. Psalm als Chor mit Bass- und Tenorsolo vertonte. Die sehr eigenwillige Komposition widmete sie als Festgabe der jüdischen Gemeinde Weinheim bei der Einweihung ihrer neuen Synagoge.

Konzertreisen hielten Paulina Rothschild häufig fern von Weinheim, aber wenn es galt, eine wichtige Weinheimer Veranstaltung mit klassischer Musik zu schmücken, waren sie oder ihre Schüler dabei. 1927 spielte Dr. Zengeler, ein Schüler von Paulina Rothschild, zur Einweihung des Saalbaues „Pfälzer Hof”. Im Januar 1909 hatte die Pianistin im Saal des Hotels „Prinz Wilhelm” (heute Polizeirevier) ein Wohltätigkeitskonzert zu Gunsten der Erdbebenopfer in Sizilien mit Werken von Bach, Beethoven, Chopin und Liszt bestritten.

Kammermusikverein mitbegründet

Außerordentliche Verdienste um Weinheim erwarb sich Paulina Rothschild, als sie 1918, zusammen mit Marx Maier, den Kammermusikverein Weinheim gründete. Mit Unterstützung der Unternehmerfamilien Hildebrand, Freudenberg und Hirsch wollten die Beiden „einem größeren Kreis von Musikfreunden Konzerte bieten, die sonst nur in Großstädten veranstaltet werden konnten” (Daniel Horsch: Sie waren unsere Bürger).

Die Nationalsozialisten belegten die berühmte Pianistin mit Auftrittsverbot. In einem der Häuser, die vom Rosslederwerk Hirsch an der Scheffelstraße für Mitarbeiter errichtet worden waren, fand Paulina Rothschild Unterkunft und hielt sich mit Klavierunterricht über Wasser. Die wenigen verbliebenen Anhänger der Künstlerin schickten ihre Kinder in kurzen Zeitabständen zum Unterricht, um einen Vorwand zur Unterstützung der in Armut lebenden Pianistin zu haben.

Paulina Rothschild starb am 11. Januar 1937 in Heidelberg an den Folgen einer Operation. Ihre ältere Schwester Sophia wurde am 22. November 1941 von Frankfurt nach Kaunas deportiert, dort wurden alle Personen gleich nach der Ankunft ermordet. Als Ort und Zeitpunkt des Todes ist Kaunas, 25.11.1941 anzunehmen.

Betty Bergen, geborene Rothschild, emigrierte 1934 nach Montevideo, Frieda Braun, geborene Rothschild, 1937 in die USA.

Verfasser: Heinz Keller,

veröffentlicht in: "Weinheimer Nachrichten" vom 31.07.2006

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