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Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft - Opfer im Widerstand gegen den Nationalsozialismus

Von zwei Schriesheimern ist bekannt, dass sie ihr Leben im Widerstand gegen die nationalsozialistische Weltanschauung und Gewaltherrschaft in Europa gegeben haben:

Alfred Herbst, geboren am 15.12.1906, gestorben am 20.07.1943 in Brandenburg

Karl Heinz Klausmann, geboren am 06.05.1922 in Mannheim, gestorben am 07.05.1945 (vermutlich) in Frankreich

Karl Heinz Klausmann wurde in Mannheim als uneheliches Kind der Margarethe Fulda und des aus Gimbsheim stammenden Arztes Ernst Hirsch geboren. Beide Eltern waren Juden. Durch Vermittlung einer Frau aus Schriesheim kam das Kind schon bald nach der Geburt in Pflege bei dem Gärtner Kamill Klausmann und seiner Ehefrau Margarethe Katharina, geb. Hartmann. Die Familie wohnte in der Straße „Mainzer Land”. 1928 adoptierten die Pflegeltern das Kind. Karl Heinz wurde 1929 evangelisch getauft. 1937 schloss er die Schule ab und wurde konfirmiert. Danach erlernte er in der Nähe von Baden-Baden die Geflügelzucht. Als er wegen der Tätigkeit in der Landwirtschaft gegenüber dem „Reichsnährstand” den Nachweis der „arischen Abstammung” erbringen sollte, brachten die Erhebungen des Bezirksamtes Mannheim eindeutig zu Tage, dass die leiblichen Eltern und alle vier Großeltern von Karl Heinz Juden waren, was auch den Adoptiveltern bekannt gegeben wurde. Kamill Klausmann brachte Karl Heinz daraufhin bei einer Geflügelfirma in Weinheim unter, wo er wegen seiner jüdischen Abstammung offenbar nicht weiter behelligt wurde. Von der Abschiebung der badischen Juden im Oktober 1940 in das unbesetzte Frankreich wurde er nicht erfasst. Als er dann im April 1942 „evakuiert” werden sollte, gelang ihm mit Hilfe von Freunden aus Mannheim die Flucht nach Frankreich. Dort schloss er sich der Résistance an. Im Mai 1944 wurde er von einem Kommando der (deutschen) Sicherheitspolizei in Lyon in der Nähe von Belmont de la Loire festgenommen. Nach einer Meldung der Sicherheitspolizei von Lyon soll er etwa zwei Wochen später bei einem Fluchtversuch erschossen worden sein.(1)

Nach Erscheinen des bisher zusammengefassten Beitrags über Karl Heinz Klausmann im Schriesheimer Jahrbuch 2002 erbrachten Nachforschungen in Frankreich weitere Einzelheiten, die berechtigte Zweifel an der von der Sicherheitspolizei behaupteten Erschießung begründen. Danach lässt sich der Weg Klausmanns nach der Flucht im April 1942 wenigstens für die Zeit ab Herbst 1943 wie folgt nachweisen:

Karl Heinz Klausmann schloss sich im September 1943 einer Widerstandsgruppe im Süden des Departements Saône-et-Loire an. Er beteiligte sich an den heftigen Kämpfen gegen die deutschen Truppen in der Region Charollaise bei Beaubery und Montmelard. Nach einer schweren Niederlage im November 1943 mussten die vorhandenen Kräfte neu sortiert werden. Karl Heinz Klausmann gehörte nunmehr zur Widerstandsgruppe der Maquis de Chauffailles (2) und trug den Namen „Charlot”. Im Laufe des Winters 1943/44 zog sich die Gruppe nach Osten in die Bresse zurück. Im Frühjahr 1944 formierte sie sich im Departement Saône-et-Loire neu und richtete im April bei Thel (Dep. Rhône) in der Nähe von Belmont (Dep. Loire) ein Camp mit Hütten aus Ästen und Zweigen ein. Die drei Departements grenzen hier eng aneinander, ein nördlicher Zipfel des Departements Loire mit Belmont schiebt sich zwischen die beiden anderen. Die Lage dieses Camps wurde den Deutschen von einem Verräter offenbart, der sich der Gruppe zunächst angeschlossen hatte, später aber unter Mitnahme seines Maschinengewehrs geflohen war. In der Nacht vom 2. auf 3. Mai 1944 bezogen deutsche Truppen in einer Stärke von 1.500 Mann Position in der Nähe des Lagers bei Thel.(3) Von den 38 Männern der Gruppe wurden etwa 16 Männer getötet, ein Teil kam mit dem Leben davon, weil sie den ganzen Tag in den Tannen sitzend verbrachten, ein anderer Teil durchbrach die feindliche Umklammerung mit Hilfe ihrer Schusswaffen.

Karl Heinz Klausmann wurde als einziges Mitglied der Gruppe, derer die Deutschen habhaft wurden, nicht erschossen, sondern verhaftet. Er wurde offenbar im „Montluc”, dem Gefängnis von Lyon, gefoltert und sollte den Deutschen weitere Widerstandsgruppen und ihre Helfer verraten. Dazu fuhren sie in die verschiedenen Dörfer in der Bresse, in denen sich die Gruppe im Winter 1943/44 aufgehalten hatte (Montrevel, Romenay, Béréziat). Die Einwohner sahen die ihnen wohlbekannten kleinen Lastwagen der Widerstandsgruppe ankommen und erkannten auf dem vorderen Sitz eines solchen Lastwagens „Charlot” (Klausmann). Dieser gab den Leuten in Béréziat und Montrevel durch seine Mimik zwar zu verstehen, dass sie nicht mit ihm sprechen sollten. Aber die meisten erkannten zu spät, dass es die Deutschen waren, die in den Wagen herauffuhren. Ein Bauernhof, in dem die Gruppe im Winter 1943/44 untergetaucht war, wurde von den Deutschen niedergebrannt. Die Deutschen glaubten nun, in Klausmann einen wirklichen Helfer auf der Suche nach weiteren Führern der Résistance gefunden zu haben. Sie setzten ihn unter der Bedingung frei, dass er sich verpflichtete, den Aufenthaltsort der Leiter der Gruppe auszuspähen und mitzuteilen. Im Keller des Montluc musste er sich Kleidung aussuchen und dann wurde er nach Mâcon gebracht. Er erhielt eine Michelinkarte, ein Päckchen Zigaretten, 500 Francs und eine Brotkarte, aber keinen Ausweis. Klausmann aber suchte seine frühere Gruppe und vor allem deren Leiter Claude Rochat (Tarnname „Guillaume”) in den Wäldern wieder auf. Claude Rochat war der Gründer und Organisator verschiedener Gruppen der Résistance im südlichen Dep. Saône-et-Loire und befehligte in dieser Eigenschaft auch die Maquis de Chauffailles. Dieser misstraute Klausmann zunächst und dachte daran, ihn zu erschießen. Nachdem Klausmann jedoch seine Geschichte erzählt hatte und als Rochat sah, dass ihm mehrere Zähne ausgeschlagen waren und er Foltermerkmale am Körper hatte, änderte er seine Meinung und brachte ihn wieder bei einer Widerstandsgruppe unter.(4) Nun kämpfte Klausmann bis Mitte September 1944 weiter gegen die deutsche Besatzung. Alle bewaffneten Kräfte des französischen Widerstands, so auch die Maquis de Chauffailles, waren seit Februar 1944 in den „Forces Françaises de l’Intérieur” (FFI) zusammengeschlossen. Über das Quartal von Juni bis September konnte Raymond Tachon (Chandon), Mitglied der Maquis de Chauffailles und Kamerad von Karl Heinz Klausmann in dieser Zeit, genau Auskunft geben.(5)

Die Meldung des Kommandeurs der Sicherheitspolizei in Lyon (Klaus Barbie) vom Juni 1944 an den Oberstaatsanwalt in Mannheim, Klausmann habe nach seiner Verhaftung bei der Suche nach einem weiteren „Terroristenlager” zu fliehen versucht und sei am 20. Mai 1944 erschossen worden (6), ist danach offensichtlich die Verschleierung einer tatsächlich gelungenen Flucht. Es ist gut denkbar, dass die Mitarbeiter der Sicherheitspolizei gegenüber ihrem Kommandeur in Lyon nicht eingestehen wollten, dass ihnen Klausmann entwischt war. Wenn sie Klaus Barbie glaubhaft machen konnten, sie hätten Klausmann „auf der Flucht erschossen”, mussten sie keine unangenehmen Nachfragen über dessen Verbleib und über das Ausbleiben der von Klausmann erhofften Nachrichten zum Aufenthalt verschiedener Führungspersonen der Résistance befürchten.

Nach der erfolgreicher Überwindung der deutschen Besatzung im September 1944 - in Villefranche waren etwa 3.000 Deutsche gefangen genommen und mehrere Geschütze erbeutet worden - wurden die Widerstandsgruppen demobilisiert und in die neu aufgebaute reguläre französische Armee überführt. Für Klausmann schien dies nicht möglich zu sein, weil er kein französischer Staatsbürger war. Von nun an ist die weitere Spur Klausmanns nicht mehr eindeutig rekonstruierbar. Es gibt zwei Varianten:

Einzelne Mitglieder der Widerstandsgruppe wollen Klausmann Mitte September noch in Villefranche getroffen haben, wo er ihnen erklärt habe, er wolle nun zur Fremdenlegion (Légion étrangère = L.E.) gehen. Dort habe er in der 11. Halbbrigade der Fremdenlegion (D.B.L.E.) gekämpft und sei im Elsass gefallen.(7) Freilich gibt es im Archiv der Fremdenlegion keine Akte Klausmann.(8) Möglich ist aber dennoch, dass Klausmann unter einem anderen Namen aufgenommen wurde. Die Fremdenlegion nahm, von den Amerikanern mit modernster Ausrüstung versehen, am 15. August 1944 an der Landung in der Provence teil. Anschließend wirkte sie bei der Befreiung Südfrankreichs als Teil der 1. Französischen Armee mit. Ende 1944 und Anfang 1945 wirkte sie bei den Kämpfen im Elsass und in Südwestdeutschland mit, wo die Regimenter der Legion hohe Verluste hatten. Unter diesen Opfern müsste dann auch Klausmann gewesen sein – als Mitglied entweder der Fremdenlegion oder der Armee. Zu dieser Variante passt die Angabe von Claude Rochat, der zum „Fall Charlot” abschließend sagt: „Ich habe Charlot auf einem Bauernhof untergebracht. Er kehrte zum Widerstand zurück und verpflichtete sich bei der Befreiung bei der 1. Armee und wurde im Laufe des Feldzugs gegen Deutschland getötet.”(9) Wenn die Fremdenlegion und die 1. Armee gemeinsam kämpften, kann Klausmann in beiden Abteilungen gewesen sein.

Nach anderer Überlieferung kämpfte Klausmann an der italienischen Front in der 1ère Division Francaise Libre. Er wurde dort wenige Tage vor Ende der Feindseligkeiten bei Barcelonette (Dep. Haute-Provence) nahe der italienischen Grenze gesehen. Er sei in den letzten Kämpfen am 7. Mai 1945 gefallen und in diesem Gebiet beerdigt worden.(10)

Es gehört zur Tragik dieses jungen Lebens, dass Karl Heinz Klausmann offenbar noch kämpfte, als seine Heimatstadt Schriesheim schon mehrere Wochen befreit war. Unabhängig von der letztlich offen bleibenden Frage nach seinem genauen Schicksal in den letzten Monaten, mahnt die Würdigung seines Einsatzes aus der Feder eines französischen Kameraden zum angemessenen Gedenken auch in seiner Heimat:

„Eine Sache ist sicher: Nachdem Karl Heinz Klausmann [vor der drohenden Deportation] aus seinem Vaterland geflohen war, hat er nicht gezögert, den Nationalsozialismus zu bekämpfen. Er hat seine ganze Kraft eingesetzt vor allem in der Résistance, zuerst für die Befreiung Frankreichs und damit in der Konsequenz auch für die Befreiung seines Heimatlandes vom Joch der Naziherrschaft.”(11)

Joachim Maier

(Auszug aus: Schriesheimer Jahrbuch 2005, S. 31-36)

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(1) Vgl. zum Vorhergehenden ausführlich die Darstellung: Maier, Joachim / Stärker-Weineck, Monika: „Fürchte dich vor keinem, das du leiden wirst!” Vom Schicksal eines evangelischen „Nichtariers” im Dritten Reich, in: Schriesheimer Jahrbuch 6 (2002), S. 88-103.

(2) Maquis = Widerstandsbewegung, Widerstandsgruppe. Die einzelnen Gruppen der Maquisards = Widerstandskämpfer werden meist nach ihren Gründungsorten benannt.

(3) An den Kampf von Thel vom 3. Mai 1944 erinnert am Ort des Geschehens ein von den Freunden der Widerstandsgruppe (l’Amicale des Anciens du Maquis de Chauffailles) zum 50. Jahrestag 1994 errichtetes Memorial. Vgl. dazu die von der Vereinigung herausgegebene Broschüre Le Maquis de Chauffailles. Memorial de Thel – 3 mai 1944 (1994).

(4) Vgl. zum Vorhergehenden: Rochat, Claude: Les Compagnions de L’Espoir, Mâcon 1987, S. 120-124.

(5) Gespräch am 27.8.2004 in Chandon (Dep Loire).

(6) Vgl. Abbildung dieser Meldung im Schriesheimer Jahrbuch 6 (2002), S. 102.

(7) Mitteilung von Gaston Gireaud (Tarnname „Petit Jules”, damals Kommandant der Maquis de Chauffailles) an Robert Trouillet (Roanne), von diesem mitgeteilt 19.9.2004. R. Trouillet ist ein Kamerad von Raymond Tachon.

(8) Mitteilung des Bureau des Anciens der Legion Etrangère ( Marseille) vom 24.9.2004.

(9) Ch. Rochat, a. a.O., S. 124.

(10) Auskunft von Robert Trouillet vom 9.10.2004 nach der Aussage von Aldo Ferrari, des Bruders des bereits verstorbenen Albert Ferrari , der Klausmann bei Barcelonnette gesehen hat. Auch Gaston Gireaud gibt in seinem Brief vom Juli 2004 die Alternative, Klausmann sei im Mai 1945 entweder in Italien oder Deutschland gefallen. Im dem von Gireaud mitgeteilten Namensverzeichnis der Mitglieder der Maquis des Chauffailles ist für Klausmann als Todesdatum der 7.5.1945 genannt.

(11) Robert Trouillet, Brief vom 19.9.2004.

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