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Biographie Arnold Hirsch (1901–1954)

Ein paar Monate vor der Einweihung des Realgymnasiums im Oktober 1901, am 3. Juli 1901, wurde in der Bismarckstraße Nr. 5 dem Fabrikantenehepaar Julius und Mary Hirsch der erste Sohn Arnold geboren. In großbürgerliche Verhältnisse hineingeboren, die Unternehmerfamilie Hirsch besaß allein vier Villen in Bahnhofstraße und Bismarckstraße, besuchte Arnold ab 1910 das neue Realgymnasium, nur Schritte vom Elternhaus entfernt. Dort legte er 1919 das Abitur ab, als einer von neun Abiturienten in der OI. In den Sprachen waren seine Noten gut, sonst bescheinigte ihm der Schulleiter Haaß nur befriedigende Leistungen.

Er begann dann in Freiburg ein Literaturstudium, wechselte nach München, Frankfurt a. M., Heidelberg und wieder Frankfurt a. M. Wenn man die Namensliste der Professoren anschaut, die er hörte, so sind es die Namen bedeutender Gelehrter in Literaturgeschichte, Kunstgeschichte, Philosophie, Psychologie und bereits der Soziologie. Vielleicht durch Max Weber in München angeregt, wendet sich das Interesse des Literaturstudenten Arnold Hirsch auf den soziologischen Hintergrund, der zu einer bestimmten Ausformung der literarischen Produktion führt.

In Frankfurt schreibt Arnold Hirsch seine Doktorarbeit „Der Gattungsbegriff ´Novelle`”. In Frankfurt auch wird er als Privatdozent für deutsche Philologie zugelassen, und dort will er sich mit einer Habilitation um eine Professur bewerben. Sein Spezialgebiet wird zunehmend der bürgerliche Roman, wie er im Spätbarock entsteht. In Frankfurt kann er noch 1934 seine literaturwissenschaftliche Darstellung „Bürgertum und Barock im deutschen Roman”, veröffentlichen, von der Fachwelt hoch gelobt, weil er erstmalig die Welt der Literatur und ihre soziale Einbettung verbindet. Wie Gerhard Sauder, Professor an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken heute urteilt, war Arnold Hirsch „einer der begabtesten Germanisten der Weimarer Republik”. Aber in Deutschland zählt wissenschaftliche Qualifikation nicht mehr, seitdem die Nazis an der Macht sind. Der Dekan der philosophischen Fakultät rät Arnold Hirsch, er möge sein Habilitationsgesuch „auf Grund der heutigen kulturpolitischen Gesamtlage”(1) zurückziehen.

Die Emigration vieler der besten Deutschen setzt ein. Auch für Arnold Hirsch, Deutscher jüdischer Konfession, gibt es nur die Emigration. Sebastian Haffner hat in seinen „Erinnerungen 1914 – 1933” mit scharfem Blick die Situation beschrieben, in der sich ein Deutscher befand, der nun sein Land verlassen musste, das nicht mehr sein eigenes war:

„Ich liebe Deutschland nicht, sowenig wie ich mich selbst liebe. Wenn ich ein Land liebe, ist es Frankreich, aber auch jedes andere Land könnte ich eher lieben als mein eigenes - - auch ohne Nazis. Das eigene Land hat aber eine ganz andere, viel unersetzlichere Rolle als die des Geliebten; es ist - eben das eigene Land. Verliert man es, so verliert man fast auch die Befugnis, ein anderes Land zu lieben. Man verliert alle Voraussetzungen zu dem schönen Spiel nationaler Gastlichkeit - zum Austausch, Einandereinladen, Einanderverstehen-Lehren, Voreinander-Paradieren. Man wird - nun eben ein Sans-patrie, ein Mann ohne Schatten, ohne Hintergrund, bestenfalls ein irgendwo Geduldeter - oder, wenn man freiwillig oder unfreiwillig darauf verzichtet, der inneren Emigration die äußere hinzuzufügen, ein gänzlich Heimatloser, ein Verbannter im eigenen Land.”(2)

Arnold Hirsch emigriert nach Frankreich, nach Paris, und publiziert bereits 1935 einen Beitrag in den „Études germaniques” über „Bourgeoisie et formation intérieure chez Thomas Mann”. Aber er muss sich durchschlagen, indem er Deutsch-Stunden gibt, Korrekturarbeiten übernimmt und gelegentlich Vorträge und Übungen an der „Freien Deutschen Hochschule” in Paris hält.

Es geht ihm wie vielen jüdischen Flüchtlingen in Frankreich, zum Beispiel Lion Feuchtwanger. Seit der Niederlage Frankreichs im Juni 1940 und der deutschen Besetzung des Landes bis zur Loire sind sie in Lebensgefahr. Arnold Hirsch schließt sich der Résistance gegen die Deutschen an.

Unmittelbar nach der Befreiung wirkte er als Lektor an der Elitehochschule „École Normale Supérieure” in Paris. Für Germanisten veranstaltete er Konferenzen über die Romane der Aufklärung. Arnold Hirsch starb im September 1954 an einem Krebsleiden in Paris und konnte ein begonnenes Werk über Christian Thomasius nicht mehr veröffentlichen. Sein Nachfolger in der École Supérieure wurde der berühmte Lyriker Paul Celan. Die Études germaniques widmeten Arnold Hirsch einen großen ehrenden Nachruf:

„Par sa compétence, sa probité intellectuelle, son inépuisable dévouement, il gagna promptement à la fois l´estime et l´affection de tous. … Sa mort prématurée, douloureusement ressentie par tous ceux qui eurent l´occasion de le connaître, laisse un grand vide dans la germanistique française.”(3)

Wie Gerhard Sauder in seinem Artikel für die „Wissenschaftsgeschichte” schreibt, stieß Hirschs sozialhistorische Neuorientierung der Barockforschung nach dessen Tod auf großes Interesse in der Fachwelt, vor allem in den 60er und 70er Jahren. Sauder will auch eine längere Arbeit über Hirsch in den „Ètudes germaniques” veröffentlichen.

Dorothy Korngold, die jüngste Schwester von Arnold, die in Larchmont im Staat New York lebt, schreibt über ihren Bruder im Jahr 2001: „He would have been 100 years old this past July (20 years my senior). He was a wonderful person, intelligent, gentle, and very unassuming.”

Werner Helmke

(veröffentlicht in: Werner-Heisenberg-Gymnasium Weinheim – 125 Jahre Schulgeschichte 1876-2001, S. 44-46)

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(1) Gerhard Sauder in seinem Beitrag über Arnold Hirsch in: Wissenschaftsgeschichte der Germanistik in Porträts, Berlin, 2002.

(2) Sebastian Haffner, Geschichte eines Deutschen, Die Erinnerungen 1914 – 1933, Stuttgart/München 2000, S. 208.

(3) Claude David, Arnold Hirsch (1901 – 1954). In : Études Germaniques 10 (1955), S. 95.

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